Eine Wohnung mitten in der Stadt (German Edition)
Küche und Erker hing ein Ölgemälde in einem schweren, goldenen Holzrahmen. Es war in dunklen Farben gehalten, wirkte fast ein wenig gespenstisch. Ich nahm meine Brille aus der Handtasche und setzte sie auf. „Ich sehe nicht mehr so gut“, erklärte ich, und Edvard lächelte mir verständnisvoll zu.
Das Bild stellte ein großes Segelschiff dar, das kurz davor war, von hohen Wogen verschlungen zu werden. Passend zu meinem Zustand, aber so gar nicht zum Rest der Einrichtung, die, vom Tisch einmal abgesehen, sehr leicht wirkte: viel Glas und Chrom mit bunten Accessoires in hellen Farben. Es hing auch noch nicht lange dort, die hellen Streifen links und rechts vom Bild wiesen darauf hin, daß bis vor kurzem ein größeres dort gehangen hatte.
Edvard führte mich ins Wohnzimmer, das eher karg eingerichtet war. Mir wäre es zu kühl gewesen, aber die wenigen Möbel ließen viel Raum zum Atmen. Ich konnte gar nicht so schnell schauen, wie er sprach, geschweige denn die ganzen Geschichten behalten, die er zu den einzelnen Möbelstücken zu erzählen wußte. Aber wahrscheinlich war das gar nicht so wichtig. Edvard wollte, daß ich sein Haus bewunderte, daß ich es so liebte, wie er es tat, aber das fiel mir nicht leicht. Denn ich konnte all diese Gegenstände nicht mit meinem Jungen in Einklang bringen. Seine letzte Wohnung hatte ganz anders ausgesehen. Dazu kam, daß ich nicht wirklich wagte, genau hinzugucken. Ich kann das schwer erklären. Alles war ordentlich und sauber, alles schien am rechten Platz zu sein, trotzdem hatte ich Angst, etwas zu entdecken, was – na ja, ich weiß nicht …, etwas zu entdecken, was ich nicht sehen sollte. Jetzt weiß ich es: Ich fühlte mich wie jemand, der unangemeldet in das Leben eines Fremden platzt und sich in dessen Wohnung umschaut, im sicheren Wissen, nicht willkommen zu sein. Ja, so war’s.
Ich suchte meinen Jungen, um in seinen Augen Halt zu finden, aber er raschelte im Nebenzimmer mit Papieren.
„Ich zeige Ihnen jetzt das Schlafzimmer“, kündigte Edvard an. Wessen Schlafzimmer? fragte ich mich. Er zog mich an der Hand zur Tür und trat ein. Ich blieb stehen. Das große Doppelbett aus Messing hatte fast etwas Prunkvolles. Die Bettwäsche war blütenweiß und glatt, wie ein Museumsstück sah es aus. Über dem Bett hing ein Gemälde, das mich sehr an eine Tarotkarte erinnerte, die ich bei meiner Freundin Divja gesehen hatte: Ein Paar hielt sich bei den Händen und deutete auf Kelche, die im Himmel schwebten. Neben den beiden tanzten zwei Kinder Ringelreihen.
Edvard erklärte mir etwas über die Entstehung des Schrankes und der kleinen Sitzgruppe, die mich an Puppenstubenmöbel erinnerte, wobei ich sagen muß, daß sie sehr edel aussahen. Aber meine Augen blieben an ganz anderen Dingen haften, zum Beispiel an dem Foto auf dem Nachttisch, das ein kleines, blondes Mädchen abbildete, und dem daneben: ein Hochzeitsfoto mit einem Brautpaar – es stand zu weit weg, als daß ich Genaueres hätte erkennen können. Und im Fenster hing eine Bastelarbeit. Aus braunem Tonpapier war eine Art Laterne ausgeschnitten und mit buntem, durchsichtigem Papier hinterklebt. Es war hübsch, erinnerte mich an die frühen Jahre meiner Enkelkinder.
Die helle Kommode mit den Beschlägen stammte aus der Wiener Sezession, erklärte Edvard gerade. Darauf standen zwei heruntergebrannte Kerzen, eine Schale mit Reis, in der Räucherstäbchen steckten, und ein Glas Wasser. Daneben lag eine Banane, eine Orange und ein Apfel. Divja hatte einen Altar in ihrem Zimmer, den pflegte sie ebenso zu dekorieren. Über der Kommode hing ein eigenartiges Gebilde: Kräuterzweige waren ineinander verflochten, in ihrer Mitte glänzte ein Stück Metall: ein goldener Ring mit zwei Steinen besetzt.
Da trat mein Junge an mich heran und sagte: „So, und jetzt zeige ich dir das Arbeitszimmer.“ Er legte mir seinen Arm um meine Schulter und schob mich sanft, aber bestimmt aus der Tür.
Das Arbeitszimmer lag zwischen dem Wohn- und dem Schlafzimmer. Ich sah gleich, daß Bernhard hier zu Hause war. Abgesehen von den deckenhohen Regalen, die mit Büchern vollgestopft waren, herrschte, wenn ich das mal so sagen darf, eine eigene Ordnung; ich wüßte nicht, wie ich das anders beschreiben sollte. Ich trat an den Schreibtisch heran, den er sich in Studententagen zugelegt hatte. Überall lagen Zettel, Papiere stapelten sich, offene Kisten standen daneben, voll mit allerlei Unterlagen.
Ja, das war mein Junge. Es sah aus wie das
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