Eine Wohnung mitten in der Stadt (German Edition)
Mann und meine Kinder machte, daß ich nicht wisse, was aus ihnen werden soll, wenn ich nicht mehr bin. Und sie sagte, daß ich mir keine Sorgen zu machen bräuchte, denn ich würde wieder gesund werden, das sehe sie in meiner Aura.“ Ich stockte. Einen Moment lang war ich bestürzt, wie frei ich diesem Fremden aus meinem Leben erzählte. Edvard lehnte sich über den Tisch mir entgegen, wie um mich besser zu hören, also blieb mir nichts anderes übrig, als weiterzusprechen.
„Danach haben wir losen Kontakt gehalten: eine Karte zu Weihnachten oder anderen Anlässen. Aber nach dem Tod meines Mannes war sie die erste, die ich anrief. Ich kann gar nicht genau sagen, warum. Sie kam sofort und half mir während der ganzen Vorbereitungen für die Beerdigung. Tja, und später zog sie dann ein; Platz hab ich ja genug in dem großen Haus. Divja ist Altenpflegerin von Beruf, müssen Sie wissen. Jetzt wohnt sie bei mir, geht tagsüber ihrer Arbeit nach und nebenbei hilft sie mir. Alleine würde ich es ja nicht mehr schaffen.“ Ich spürte, wie mir Tränen in die Augen stiegen, zog daher mein Taschentuch aus dem Ärmel und putzte mir die Nase.
„Interessant, diese Divja“, sagte Edvard. „Da haben Sie ja richtig Glück im Unglück gehabt.“
Ich nickte und schneuzte mich noch mal, gerade als Bernhard sich setzte. „Jetzt würde ich doch gerne eine Tasse Tee nehmen“, sagte ich.
„Selbstverständlich.“ Edvard sprang auf und deckte Geschirr für uns drei auf, brachte Zuckerdose und Milchkännchen. Ich guckte meinen Jungen an. Mit verschränkten Armen saß er mir gegenüber und starrte an mir vorbei. Kein einziges Mal hatte er sich am Gespräch beteiligt. Ein Außenstehender müßte annehmen, Edvard sei mein Sohn und nicht Bernhard.
Ich lehnte mich vor; zu gern hätte ich ihm meine Hand auf die Wange gelegt, aber dafür war er zu weit weg. „Die Mädchen lassen dich grüßen“, sagte ich; ich meinte damit meine Töchter, mit denen Bernhard kaum mehr Kontakt hatte.
Er nickte.
„Wieso meldest du dich nicht mal bei ihnen?“
„Sie rufen mich ja auch nicht an.“ Der Unterton in seiner Stimme ließ mich erschauern.
„Deine Nichten fragen immerzu nach dir“, sagte ich. „Sie sind schon bald ausgewachsene junge Damen. Willst du denn gar nicht sehen, was aus ihnen geworden ist? Der kleine Florian ist schon in der Schule und kann sich wahrscheinlich nicht mal daran erinnern, wie du aussiehst.“
„Ich brauche ein Glas Wasser“, sagte er und stand auf. „Du auch noch?“
„Nein danke.“
Er ging und ließ mich allein. Dann kam Edvard mit der Teekanne und goß mir ein. „Nehmen Sie Milch und Zucker?“
Ich war sehr müde und zog mich danach zurück. Es war eine Erleichterung, mich auszustrecken und meine müden Knochen ein wenig ruhenzulassen. Ich zog mir die Schuhe aus, schob das Plumeau zur Seite, spannte die Kamelhaardecke über das Bett und legte mich hin.
Als mich Bernhard zum Abendessen weckte, rief ich ihn zu mir ans Bett: „Was ist mit dir los? Du sprichst kaum mit mir, du weichst mir aus. Wenn ich dich berühre, wirst du steif wie ein Stock.“
„Nichts ist mit mir. Ich lebe mein Leben, Mama. Nichts weiter.“ Es war ein geschäftlicher Ton, als wenn Freundlichkeit etwas von dem verraten würde, was er mir eigentlich sagen wollte.
„Dein Leben?“
„Ja, mein Leben. Es ist viel passiert, und es hat keinen von euch interessiert.“
„Ich wußte nicht, daß sich dein Leben verändert hat.“
„Das sag ich doch gerade.“
„Aber warum hast du mir denn nichts davon erzählt, mein Junge?“
Zum ersten Mal an diesem Tag schaute er mir direkt in die Augen, und was ich sah, war mir fremd. In seinem Kopf arbeitete es, und das einzige, was davon nach außen drang, war Groll.
„Es hat euch doch überhaupt nicht interessiert“, sagte er mit stoischer Miene.
„Wie kannst du das nur annehmen? Wir sind doch deine Familie.“
„Familie? Wie habt ihr euch denn verhalten, als meine gestörte Nichte hinausplärrte, daß ich Männer liebe? Wie habt ihr euch verhalten, als Vater sich daraufhin von mir abkehrte? Vorwürfe habt ihr mir gemacht. Und seinen Tod wolltet ihr mir auch noch anhängen. Das nennst du Familie? Nein. Das seid ihr eben nicht.“ Er stand auf und ging hinaus, und ich fühlte, wie Tränen in meine Augen stiegen.
Edvard hatte den Tisch wunderschön gedeckt: Silberbesteck, schwere Gläser und edles Geschirr. Es gab Zucchini-Suppe mit Schafskäse, einen Korb voller verschiedener
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