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Eine Wohnung mitten in der Stadt (German Edition)

Eine Wohnung mitten in der Stadt (German Edition)

Titel: Eine Wohnung mitten in der Stadt (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephan Niederwieser
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Chaos, das schon in seinem Kinderzimmer geherrscht hatte. In der Ecke hinter der Tür war ein aufgeschnittener Umzugskarton auf dem Boden ausgebreitet. Spuren von Malstiften konnte ich darauf erkennen. Daneben standen zwei Kisten mit Klebstoff, Glanzpapier, Buntstiften, Malbüchern und dergleichen.
    „Schön hast du es hier“, sagte ich zu meinem Jungen, und ein Hauch von Stolz huschte über sein Gesicht.
    „Komm, ich zeig dir, wo du schlafen wirst“, sagte Bernhard und seine Stimme klang etwas versöhnlicher. Zögerlich streckte er die Hand nach mir aus, und ich legte meine gerne hinein.
    Er führte mich an der Küche vorbei, um den Eßtisch herum, zu einer der beiden Türen auf der anderen Seite des großen Zimmers und öffnete sie; hinter der anderen verbarg sich das Bad – es mußte sich zumindest dort befinden, denn es gab keine weitere Tür. Das Zimmer, in dem ich schlafen sollte, war wie ein edles Hotelzimmer eingerichtet und eindeutig kein zweites Schlafzimmer, dafür sah es zuwenig bewohnt aus. Mein Sohn teilte sich also das eine mit diesem jungen Mann, eine Erkenntnis, die damals noch Unbehagen in mir auslöste. Natürlich war Edvards Name schon vor Jahren gefallen, und natürlich hatte ich eine Ahnung davon, was Homosexualität bedeutete. Aber ein Ehebett zu sehen, damit konfrontiert zu sein, das machte mir klar, daß dies nicht nur ein Spleen von meinem Sohn war, ein Ausrutscher.
    Ich versuchte, mich von diesem Gedanken abzulenken, und betrachtete das Bett, das mit Einlegearbeiten verziert war. Die Türen der Einbauschränke waren verspiegelt. Bernhard öffnete eine und zeigte mir, wo ich mein bißchen Wäsche unterbringen konnte. Dabei fiel mein Blick auf den antiken Kinderkaufladen in der Ecke, dessen Regale mit neuen Produkten aufgefüllt waren: Kartoffelbrei, Reis, Nudeln, Waschmittel.
    „Jetzt sind Sie sicher hungrig“, sagte Edvard, der eingetreten war. „Möchten Sie Apfelkuchen oder lieber einen Teller Suppe?“
    „Mein Appetit ist nicht besonders“, sagte ich. „Könnte ich einfach ein Glas Wasser haben?“
    „Wasser? Mit Kohlensäure oder lieber ohne?“
    „Am besten pur aus der Leitung“, bat ich und setzte mich an den Eßtisch. Endlich. Ich war schon viel zu lange auf den Beinen gewesen.
    Ich saß noch nicht, da war Edvard schon wieder zurück. Woher nahm er nur diese Energie? Er brachte eine ganze Karaffe mit Wasser, schwedischer Kristall, erklärte er und setzte sich zu uns an den Tisch. „Jetzt lernen wir uns endlich kennen.“
    „Ja“, antwortete ich, „das stimmt.“ Jetzt, da er mir gegenübersaß, sah ich, was er für hübsche Augen hatte. Sie waren wach und neugierig und trotzdem sehr sanft – ganz bezaubernd. „Bernhard hat Ihren Namen ja schon mal erwähnt, vier Jahre ist das jetzt wohl her. Oder?“ Bernhards Gesicht blieb ausdruckslos. „Es waren … unglückliche Umstände, damals. Nicht wahr, mein Junge?“
    Auch Edvard schien von Bernhards Verhalten irritiert zu sein. Er kniff ihm in die Wange und sagte: „Er ist schon ein Schatz, unser Kleiner.“ Aber dann wandte er sich wieder mir zu. „Na ja, es gibt auch nicht viel über mich zu erzählen. Ich verkaufe Antiquitäten. Mein Laden läuft nicht mehr so gut wie früher, und es interessiert mich auch nicht mehr.“ Bernhard verzog das Gesicht. So etwas wie Überraschung oder Staunen schien darin zu stehen. „Ich mach das jetzt schon sehr lange, wissen Sie? Ich habe das Gefühl, daß ich da nichts mehr lernen kann. Es reizt mich nicht mehr. Was Neues muß her … Darf ich Ihnen nachgießen?“
    „Gerne. Seit einiger Zeit scheint es mir, ich würde innerlich brennen. Können Sie sich das vorstellen? Dann habe ich plötzlich furchtbaren Durst.“
    „Trinken Sie ruhig. Wasser ist genug da. Und wenn Sie etwas anderes wollen …“
    „Ich glaube, ich setze einen Tee auf“, sagte Bernhard, stand auf und ging in die Küche.
    Edvard schaute mich an. Es schien, als wollte er einen Kommentar zu Bernhards Verhalten abgeben, aber dann fragte er mich nur nach meinen Lebensumständen.
    „Meine Freundin Divja ist bei mir eingezogen. Sie geht mir zur Hand.“
    „Divja? Ist sie Inderin?“ Edvard unterhielt sich mit mir, als wüßte er nichts über mich. Hatte Bernhard ihm denn gar nichts erzählt?
    „Nein, sie hat den Namen von einem spirituellen Lehrer bekommen. Ich hab sie während meiner dritten Chemotherapie im Krankenhaus kennengelernt. Eine ganz erstaunliche Frau. Ich sagte ihr, daß ich mir Sorgen um meinen

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