Eine Wohnung mitten in der Stadt (German Edition)
eine zierliche, scheue Frau von Mitte vierzig, der man ihr ungeheures Talent vermutlich nicht mal ansah. Binnen einer halben Stunde hatte sie es geschafft, diese Taubheit zu beschreiben, ja, zu erwecken, in die Beziehungen verfielen. Sie zeigte, wie ein komfortables Leben und Geborgenheit dazu verführen können, seine Seele zu verkaufen, ja sogar, wie die Liebe den Menschen blind machen kann für seine eigenen Bedürfnisse.
Emily war zufrieden gewesen, bis ihr der junge Mann zeigte, daß ihr Leben einem Drahtseilakt glich: Ein falscher Schritt, und sie würde stürzen.
Als Kim die Lesung abschloß, lag eine Spannung in der Luft, eine Mischung aus Neugier auf dieses neue fremde Leben, das die Heldin der Geschichte erwartete, und auch all der Angst davor, den Schritt zu wagen, das Vertraute zu verlassen.
Der Applaus schien Kim zu verunsichern, ihr Lächeln wirkte angestrengt. Zögerlich stand sie auf, verbeugte sich und stieg dann vom Podest. Der Verleger nahm das Mikrofon und sprach mir aus dem Herzen: „Meine Damen und Herren. Es ist wohl für jeden spürbar geworden, welch erzählerische Kraft in dieser Geschichte steckt.“ Er ballte die Hand zur Faust, als er das sagte. „Diese Spannung der zentralen Figur hat sich auf Sie, meine Herrschaften, übertragen. Es sollte Ihnen eine Idee davon geben, mit welcher emotionalen Gewalt Sie in die Handlung hineingezogen werden. Und es ist nicht zuletzt diese … entschuldigen Sie bitte den Ausdruck: diese Power“, er ballte die Faust noch einmal, „diese Power, die mich als Verleger, ja, ich möchte fast sagen, gezwungen hat, dem Talent Gehör zu verschaffen.“
Noch einmal toste der Applaus los, und auch ich klatschte fest in die Hände. Dann sagte er noch: „Ich schlage vor, daß wir eine Verschnaufpause einlegen. Kleine Erfrischungen stehen für Sie im Vorraum bereit. In etwa zwanzig Minuten können Sie mir dann alle Fragen stellen, die Sie bewegen; ich hoffe, es entsteht eine rege Diskussion. Bis gleich.“ Er drehte das Mikrofon nach vorn, die Lautsprecheranlage heulte auf, dann ging ein Rumoren durch die Reihen.
Edvard und Herr Roth sprangen auf und gingen nach vorn zu Kim, was ich als Zeichen des Aufbruchs interpretierte und deshalb folgte.
„Und? Was sagst du? Ist es gut gelaufen?“ fragte Herr Roth Edvard hinter vorgehaltener Hand.
„Super!“
„Hab ich es so gelesen, wie du es dir vorgestellt hast?“ fragte Kim flüsternd.
„Es war wunderbar. Laß uns sehen, wie viele Bücher verkauft werden“, antwortete er.
„Hast du diesen Fuzzi von der Süddeutschen gesehen? Der hat sich die Finger wund notiert“, sagte Edvard.
Dann sah Kim mich und bedeutete den anderen, daß ich hinter ihnen stand. Edvard und Herr Roth drehten sich um und strahlten mich an. „Oh, hallo. Und? Wie hat es Ihnen gefallen?“
„Ich bin sehr bewegt“, sagte ich. „Diese Rothild Schön muß eine erstaunliche Person sein.“
Da blickte Kim von Edvard zu Max und von Max zu Edvard. „Ja, das ist sie“, sagte Herr Roth und tätschelte meine Hand. Er kannte sie also.
Ich wollte ihn gerade nach ihr fragen, da bat mich eine Zuhörerin zur Seite zu treten. Sie reichte Kim den Roman und fragte: „Würden Sie es mir bitte signieren?“
„Signieren?“ entgegnete Kim. „Aber das Buch habe nicht ich geschrieben. Ich lese nur daraus.“
„Ich weiß. Trotzdem.“
Kim schaute Herrn Roth verdattert an, er zwinkerte ihr zu, dann nahm Kim das Buch. „Was soll ich denn schreiben?“
„Was Sie möchten.“
Kim lächelte ein wenig angestrengt, schrieb dann ein paar Zeilen in das Buch.
Schnell bildete sich eine Schlange. Edvard strahlte Herrn Roth an, und auch er richtete sich zu seiner vollen Größe auf. Nur Kim hatte keine Zeit, sich zu freuen. Sie war zu sehr damit beschäftigt, nette Worte in die Bücher zu schreiben.
Ein signiertes Buch, das wäre ein gutes Geschenk für Divja. Schließlich begab auch ich mich an den Büchertisch, um ein Exemplar zu ergattern.
Kaum hatte Edvard die Wohnungstür aufgeschlossen, stürmte uns Hannah schon entgegen. „Wo ist die Mama?“ rief sie.
Edvard hob sie hoch und wirbelte sie durch die Luft. „Sie kommt gleich nach, mein Schatz.“
„Und? Wie war’s?“ fragte mein Junge.
„Voller Erfolg“, antwortete Edvard, während er sich die Jacke auszog. „Zweihundertfünfzig Gäste und jede Menge verkaufter Bücher. Viele wollten es von Kim signiert haben. Ich glaube, ihre Finger sind wund.“
„Au weia! Muß sie jetzt zum
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