Eine Wohnung mitten in der Stadt (German Edition)
verhindern, Professorchen. Und wenn Raimondo wirklich durchdreht, werden wir alles tun, damit er sich wieder einkriegt. Okay?“ Ich nickte. „Jetzt muß ich aber los. Heute bin ich auch noch mit Aufsperren dran.“
„Tschüs.“ Demonstrativ lehnte ich mich weit vor, hielt ihm meine Lippen hin, um ihn ja nicht mehr zu berühren.
Er gab mir einen Klaps auf den Kopf, dann einen Kuß: „Du Affe.“
„Danke. Ich hab dich auch sehr lieb.“
Wir grinsten uns an.
„Und: Benimm dich!“ flüsterte Edvard mit einem Blick auf die verschlossene Tür des Gästezimmers. „Deine Mutter ist echt okay. Sie is ’ne alte Lady und keine Hexe.“
„Vielen Dank für das Gespräch“, antwortete ich und schob ihn aus der Tür.
Kurze Zeit später kam meine Mutter aus ihrem Zimmer. Sie trug ein Nachthemd und ihren Morgenmantel darüber, ihr Haar war verlegt. „Guten Morgen, mein Junge“, sagte sie und ging ins Bad.
Meine Mutter und ich allein. Es war kurz vor zehn, der Zug ging um eins. Es gab kein Entkommen.
Ich steckte Weißbrot in den Toaster und wartete, bis er mir entgegensprang, schob noch zwei Scheiben hinterher und wartete wieder. Dann setzte ich mich an den Tisch.
Mutter kam aus dem Bad und ging in ihr Zimmer, um sich anzuziehen. Ich spürte, daß ich mich auf eine Auseinandersetzung vorbereitete. Irgendwann mußte sie ja kommen, jetzt war ihre letzte Chance.
„Oh, schon alles gedeckt?“
„Fehlt nur noch der Tee.“
Ich zog die Beutel aus der Kanne und schenkte ihr ein, dann rückte ich Zucker und Milch in ihre Nähe.
„Du hast es dir richtig schön gemacht, Bernhard.“ Sie nahm einen Toast aus dem Ständer und bestrich ihn mit Margarine.
„Wir, Mama. Wir. Es ist unsere Wohnung.“ Ich nahm meine Kaffeetasse, lehnte mich in meinem Stuhl zurück und trank.
Sie spitzte ihren Mund. „Das sage ich doch.“
Es war soweit. Schon in früher Kindheit hatte ich gelernt, auf ihren Mund zu achten. Wenn sie die Lippen spitzte, war Ärger im Anzug.
„Was erwartest du eigentlich, Bernhard?“ Sie legte das Messer ab, faltete die Hände in ihrem Schoß und starrte mich an: „Du hast mir deine Neigungen jahrelang verheimlicht. Dann, als es uns, und ich möchte fast sagen Gott sei Dank, zugetragen wurde – denn sonst hätten wir es vielleicht nie erfahren –, hast du dich geweigert, darüber zu sprechen. Kannst du dir überhaupt vorstellen, was das für ein Schock für mich war zu hören, daß du etwas mit dir herumträgst, was du glaubst, vor mir verheimlichen zu müssen?“ Sie nahm den Toast wieder auf und schmierte weiter. „Ja, bin ich denn ein Monster?“
Sie schmiß den Toast auf den Teller; ich nippte an meinem Kaffee.
„Und nun weiß ich seit Jahren, daß es diesen ominösen Edvard in deinem Leben gibt. Aber hast du ihn mir vorgestellt? Nein. Statt dessen bist du mit ihm zusammengezogen, ohne mir etwas davon zu sagen. Und dann, wenn ich hierherkomme, betreibst du Wortklauberei. Was erwartest du eigentlich?“ wiederholte sie.
Ich lehnte mich vor und stützte meine Ellenbogen auf dem Tisch ab. „Das war ja wohl alles ein bißchen anders.“
„Ach ja?“ Sie löffelte Edvards Kirschmarmelade auf den Toast. Ich wartete, bis sie abbiß, aber sie tat es nicht.
„Als meine verkorkste Nichte damals beim Abendessen hinausgeplärrt hat, daß ich schwul bin, und Vater deswegen vom Tisch aufstand, habt ihr mir Vorwürfe gemacht. Und nach seinem Herzinfarkt habt ihr es nicht versäumt, ihn mir in die Schuhe zu schieben.“
„So ein Unsinn! Kein Mensch weiß, warum Papa damals vom Tisch aufgestanden ist. Was meinst du, wie oft er das schon getan hatte? Natürlich war das eine Überraschung für uns, und die Umstände denkbar ungünstig. Aber das hättest du vermeiden können, wenn du es selbst gesagt hättest, in einem Moment, der nicht so geladen war wie damals kurz vor Weihnachten.“ Sie rührte in ihrer Teetasse herum. „Zu dieser Katastrophe hast du sehr wohl deinen Beitrag geleistet. Aber darin sind dein Vater und du schon immer Meister gewesen. Und dann hinterher die anderen beschuldigen. Immer waren es die anderen.“
Das war ja nun die Höhe, mich auch noch mit meinem Vater zu vergleichen. Ich wollte gerade etwas erwidern, da sagte sie: „Und diese Kühle. Wie du mich behandelst. Edvard hier, Hannah da, aber kein einziges freundliches Wort für mich. Ich komme mir vor wie … wie ein Mensch zweiter Klasse.“
„Edvard war schließlich auch für mich da. Was man von meiner Familie nicht
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