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Eine Wohnung mitten in der Stadt (German Edition)

Eine Wohnung mitten in der Stadt (German Edition)

Titel: Eine Wohnung mitten in der Stadt (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephan Niederwieser
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gerade behaupten kann.“
    Sie schlug mit der Faust auf den Tisch. „Das schlägt dem doch die Krone aus dem Gesicht.“ Sie war richtig wütend. Ich war so erstaunt, daß es mir die Sprache verschlug. Das mußte sie in den Jahren nach Vaters Tod gelernt haben. „Ich habe dir jahrelang den Hintern geputzt, und das war weiß Gott kein Vergnügen. Aber das zählt alles nicht mehr. Du kennst nur noch dein Leben und deine Probleme, als ob du der einzige Mensch in dieser Welt wärst.“
    „Siehst du, das ist genau der Grund, warum ich nie mit dir darüber gesprochen habe. Ich muß mich auch noch verteidigen. Als ob es nicht schwer genug wäre, so zu leben.“
    „Das hast du dir ausgesucht, mein lieber Bernhard“, sie spuckte das Du aus, „du, nicht ich. Wahrlich nicht ich. Gott behüte.“
    Jetzt schlug ich mit der Faust auf den Tisch, daß das Geschirr klirrte. „Hör endlich auf, ständig den lieben Gott zu zitieren und ihn für deine reaktionären Ansichten zu mißbrauchen.“ Meine Mutter zuckte zusammen und setzte sich in ihrem Stuhl zurück. „Dein Gott hat auch mich geschaffen und zwar genau so, wie ich bin.“
    Daraufhin gab es eine lange Pause. Jeder starrte auf den Tisch. In meinem Kopf überschlugen sich die Argumente, aber ich erkannte auch, daß es wenig Sinn hatte, sich darüber zu streiten. Sie würde mich nie verstehen.
    „Bernhard. Mein Junge. Ich mache dir doch keine Vorwürfe, wie du lebst.“ Sie streckte die Hand nach mir aus, aber ich zog den Arm zurück, bevor sie mich berühren konnte. „Wenn das dein Weg ist, dann geh ihn, aber schließe mich nicht davon aus. Ich bin deine Mutter, ich will doch nur …“
    „Was? Was willst du von mir?“
    Sie schaute mich regungslos an, dann sah ich, wie Tränen an ihren Wangen herunterliefen.
    „Und hör auf, mich mit deinen Tränen zu erpressen“, sagte ich, stand auf und ging ins Arbeitszimmer.
    Am liebsten hätte ich sie alleine zum Bahnhof fahren lassen. Aber ich war ja ein braver Junge, und so brachte ich sie dorthin. „Welchen Platz hast du reserviert?“
    „Ich weiß es nicht“, antwortete sie, öffnete ihre Handtasche und zog den Umschlag mit der Fahrkarte heraus. Ich schaute darauf. Dann gingen wir das Gleis entlang bis zu ihrem Waggon. Ich stieg ein, reichte ihr die Hand, um ihr zu helfen, dann suchte ich den Sitzplatz und legte den Koffer auf die Gepäckablage.
    „Danke, mein Junge. Danke für alles.“ Wir schauten uns einen Moment lang in die Augen; ihr Blick war weich und mütterlich. Dann legte sie ihre Hände an meine Wangen und zog mein Gesicht zu sich herunter. „Paßt gut aufeinander auf“, flüsterte sie mir ins Ohr. „Dein Edvard ist ein guter Junge. Verlier ihn nicht und behandle ihn gut!“
    „Verlier ihn nicht?“ Warum sollte ich Edvard verlieren? Und was hieß „behandle ihn gut!“ Hatte er sich über mich beschwert?
    Ich wollte mich zurückziehen, aber sie ließ mich nicht los. „Tschüs, Mama“, sagte ich, doch sie hielt weiter fest. Und dann spürte ich, wie traurig es mich machte, sie so nahe zu haben und ihr doch nicht nahe zu sein. Warum ging das nicht zwischen uns? Ich hatte mich doch früher gut mit ihr verstanden.
    Nachtragend hatte Raimondo mich bezeichnet, nachtragend und unversöhnlich. War das etwa nachtragend, wenn ich, nach allem, was passiert war, Abstand hielt? Nur weil sie sagte, daß es anders gemeint war, als ich mich erinnerte, mußte sie doch noch lange nicht recht haben. Oder?
    Ich legte meine Arme um sie und drückte sie kurz, dann ließ sie mich los. „Ruf an, sobald du angekommen bist“, sagte ich und ging.
    „Grüße bitte Herrn Bortalozzi von mir“, rief sie mir hinterher. Ich schaute mich um; sie kam ein paar Schritte auf mich zu. „Ist er eigentlich auch …?“
    Ich nickte.
    „So ein feiner Mann. Wirklich reizend.“
    Sie folgte mir an die Tür. Es war kalt, und der Wind zerzauste ihr Haar. „Geh rein, Mama! Du holst dir den Tod.“ Dann lief ich den Bahnsteig hinunter. Zwei Waggons weiter drehte ich mich um. Sie war ausgestiegen und schaute mir nach. Sie winkte mit einem Taschentuch. Meine Mama und ich. Wieso war es bloß so schwer?
    Während ich auf die U-Bahn wartete, merkte ich, wie die Spannung langsam von mir abglitt. Der Kopfschmerz verkroch sich, und auch der Krampf in meinen Schultern ließ nach.
    Die Bahn kam, ich stieg ein und setzte mich; die Türen gingen zu, und dann tauchten wir ein in das Dunkel unter dieser Stadt. Der Geräuschpegel stieg mit der

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