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Eine Wohnung mitten in der Stadt (German Edition)

Eine Wohnung mitten in der Stadt (German Edition)

Titel: Eine Wohnung mitten in der Stadt (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephan Niederwieser
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Beschleunigung, dann sank er wieder, es wurde heller, ein Bahnsteig voller Menschen, Stillstand. Ein Bauarbeiter stieg vorne in den Waggon, wohl ein Perser, denn er hatte dunkle Haut, schwarzes Haar und einen sehr buschigen Schnauzbart. Er ging langsam durch die leeren Reihen und stellte sich zuerst an die Tür direkt vor mir, drehte sich dann aber um und setzte sich mir gegenüber auf die Bank. Er rückte ganz ans Fenster, stützte sein Kinn auf die Hand und schaute hinaus auf den Bahnsteig. Dann warf er mir einen verstohlenen Blick zu und schaute wieder hinaus.
    Die Türen wurden geschlossen, die Bahn fuhr los. Ich starrte ihn an, ich konnte gar nicht anders, er war einfach zu hübsch. In der Jeans zeichneten sich muskulöse Beine ab, das Hemd spannte sich über seinem breiten Brustkorb, er trug nur eine Jeansjacke darüber; so dünn angezogen wäre ich erfroren. Ihm schien es nichts auszumachen.
    Wieder ein kurzer Blick; ich lächelte ihn an. Er schaute weg, dann wieder her, lächelte vorsichtig, schaute aber schnell wieder weg. Als ich aus dem Fenster schaute, bemerkte ich, daß er mich im Spiegel der Scheiben beobachtete. Da senkte er den Blick, ich sah ihn mir wieder an. Augenkontakt, ein scheues Lächeln. Ich studierte seine Lippen, die sehr markant gezeichnet waren, fast als wären sie geschminkt. Sie standen ein wenig offen, so konnte ich die Kanten seiner Zähne sehen. Und als ich mir vorstellte, wie es wohl wäre, meine Zunge dort hineinzustecken, lief mir ein Schauer über den Rücken.
    Ich schaute mich um; wir saßen fast allein in der Bahn. Ob ich ihn berühren sollte? Es wäre einfach gewesen, mein Knie gegen seines zu lehnen; und wenn er sich nicht wehrte, hätte ich ihm meine Hand auf den Schenkel legen können. Küssen wollte ich ihn, das wäre letztendlich mein Ziel gewesen, ihn küssen und erfahren, wie er seine Zunge in meinem Mund bewegen würde.
    Er schaute auf, lächelte mich an. Jetzt wich ich seinem Blick aus. Seine Hände lagen in seinem Schoß; sie waren kräftig, auf den Knöcheln sprießten dicke Haarbüschel. Ich starrte darauf und dann war es wieder wie damals, als ich noch allein durch die schwule Welt zog: In meinem Bauch spürte ich eine ungeheure Aufregung, meine Hände wurden feucht.
    Er nahm seine Hände aus dem Schoß, und gänzlich ungewollt starrte ich auf seinen Schritt, in dem sich ein gewaltiges Stück Fleisch abzeichnete. Mit einem Schlag war meine Kehle strohtrocken.
    Als ich wieder aufschaute, blickte ich direkt in seine schwarzen Augen. Er lächelte scheu, und sein Blick wurde weich. Wir hielten dem beide einen Moment lang stand, dann fuhr der Zug in den nächsten Bahnsteig ein.
    Er schaute hinaus, sprang auf und stellte sich an die Tür. Ich sah ihm hinterher. Er drehte sich um, lächelte mich durch die Glasscheibe an, zog die Türen auseinander und lief hinaus. Ich verfolgte seinen Gang. Er blieb stehen, drehte sich um, suchte, fand mich, lächelte. Ich erwiderte es. Er schaute wie geistesabwesend auf die Uhr, drehte sich aber gleich wieder nach mir um. Da winkte ich ihm zu. Ich weiß nicht, was in mich fuhr, aber ich mußte es tun. Verschreckt schaute er sich um. Niemand sonst hatte es gesehen. Erleichtert hellte sich sein Gesicht auf, und dann öffnete er seinen wunderschönen Mund, zu einem vielversprechenden, breiten Lächeln. Er winkte zurück, scheu, unmerklich fast, aber er tat es.
    Die Türen schlossen sich, die Bahn fuhr an, wir tauchten in das Dunkel ein, und er war weg.
    Ich hätte aussteigen können, ihm auf die nächste Toilette folgen, mich an ihn herandrücken, meine Hand in seinen Schritt legen und ihn küssen. Ich hätte seinen Speichel schlucken können und ihn schmecken und … Aber ich war jetzt mit Edvard „verheiratet“. Und wenn man so eine Beziehung hatte, sollte man sie nicht für ein Abenteuer riskieren. Sex mit einem anderen, das hatte keinen Platz in einer festen Beziehung. Ich hätte es nicht tun können, weil ich dabei nur an Edvard gedacht und mich schlecht gefühlt hätte. Was hätte es mir also gebracht? Außer einem schlechten Gewissen wohl nichts.
    Sobald ich zu Hause angekommen war, rief ich Edvard an: „Sie ist weg“, sagte ich und wollte erleichtert klingen, aber ich war es nicht wirklich.
    „Und? Noch was vorgefallen?“ fragte er.
    Edvard meinte damit natürlich Mutter, aber ganz automatisch dachte ich an den Bauarbeiter, der mich, es war noch keine halbe Stunde her, so nah an die Grenzen meiner Prinzipien gebracht hatte,

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