Eine Wohnung mitten in der Stadt (German Edition)
holte die Zeitung aus dem Briefkasten und deckte den Tisch. Berni nahm sich zwar nie Zeit zum Frühstücken, aber er trank immer eine Tasse Kaffee mit mir, bevor er sein Zeug packte und in die Schule rannte, was er übrigens mit Leidenschaft tat – bis heute kann ich das nicht nachvollziehen.
Ohne mich käme er dort ziemlich zerzaust an. Ich mußte ihm immer entweder das Hemd zuknöpfen oder den Schal richtig um den Hals legen. Manchmal mußte ich ihm auch durchs Haar fahren, wenn er mal wieder lange nicht beim Friseur gewesen war – er ging ungern dorthin. Es war jeden Morgen etwas anderes. Berni machte dabei immer ein Gesicht wie ein kleines Kind, das von der Mutter für die Kirche zurechtgemacht wird, trotzdem schrie er geradezu danach. Wenn ich es nicht täte, wäre er bestimmt enttäuscht. Es war ein Ritual. Es gehörte zu Bernhard und mir. Es war Ausdruck unserer Beziehung.
Sobald er aus der Tür war, räumte ich den Tisch ab – wie jeden Morgen –, organisierte etwas im Haushalt (an diesem Tag legte ich den Rest des Gemüses ein) und ging dann unter die Dusche. Um Viertel nach neun war dann auch ich bereit fürs Geschäft. Im Spiegel rückte ich meine Krawatte zurecht, strich mit dem feuchten Finger über meine Brauen, dann tastete ich meine Taschen nach meiner Brieftasche, den Schlüsseln und dem Handy ab.
Bald würden die Osterferien beginnen, und ich würde wieder mehr im Laden stehen, weil Berni sich dann Montag, Mittwoch und Freitag vormittags um Hannah kümmerte. Ostern wollten wir mit der Familie feiern: mit Kim und Hannah, mit Max und Raimondo und Adrian – so fern er das noch erleben würde. Dann würde Pfingsten kommen und gehen und der Sommer und der Herbst und der Winter. Vielleicht würde ich mir ein Paar Schuhe kaufen – das zweiundsiebzigste Paar. Vielleicht würden wir dieses Jahr mit Kim und Hannah in Urlaub fahren, vielleicht, aber nur vielleicht ging mein Mann mal wieder mit mir in die schwule Sauna – nur um die Männer anzugucken, versteht sich, mehr war bei uns nicht drin. Aber mit Sicherheit würden wir jeden Tag ein bißchen älter werden, unsere Haut faltiger, unser Haar ein wenig grauer.
Bernhard *
Unser Leben floß dahin, wie ein ruhiger, stiller Fluß. Meiner Ansicht nach liegt Schönheit in der Gleichmäßigkeit verborgen, in der Wiederholung, in der Nuancierung des Alltäglichen, nicht in andauernder Veränderung.
Als ich Edvard kennenlernte, lebte er ein Leben, das sich in jedem Moment aus sich selbst heraus neu erschuf. Die einzige Konstante waren sein Geschäft und sein Lebensmotto: fun, fun, fun.
Damals bestanden unsere Verabredungen aus einem Bündel von Aktivitäten: Freunde kennenlernen, Kino, Partys, ausgehen, Einladungen hier und dort, Sex. Es dauerte lange, bis ich ihm klarmachen konnte, daß es auch schön sein kann, wenn man einfach mal zusammensitzt und sich unterhält.
Bald fünf Jahre später sah das alles anders aus. Zwar hatte ich mich sehr darum bemüht, Edvard neue Werte beizubringen, aber ich würde lügen, wenn ich das meinem Einfluß zuschriebe. Die Veränderung kam durch Hannah. Man möchte es kaum glauben, aber es waren tatsächlich ihre Geburt und ihr Heranwachsen. Durch sie, durch das Leben mit ihr hatte er eine ganz neue Facette im Leben entdeckt: Häuslichkeit. Anstatt Essen zu gehen oder den Pizzaservice anzurufen, entwickelte er plötzlich Lust zu kochen. Er lernte, wie man Gemüse und Obst einweckt, wie man Marmelade einkocht und daß es einem die Freunde nicht gerade danken, wenn man sie immerzu damit beschenkt.
Diese neue Häuslichkeit hatte natürlich auch Auswirkungen auf unsere Beziehung. Sich um ein Kind zu kümmern ist anstrengend. Ich als Lehrer wußte das, Edvard mußte es erst noch lernen. Aber plötzlich konnte auch er mal abschalten, die Pausen genießen, in denen Hannah mit sich selbst beschäftigt war oder schlief, er freute sich auf die Tage, die sie mit ihrer Mutter oder mit Raimondo verbrachte.
Auf diesem Wege kehrte in unser Leben mehr Ruhe ein. Tagesabläufe begannen sich zu ähneln, bald zu gleichen, Verhaltensweisen wiederholten sich, ebenso unsere Auseinandersetzungen; sie wurden ritualisiert auf dieselbe Weise, wie wir Sex ritualisierten. Es ist erstaunlich, wie man nach ein paar Jahren genau weiß, was im anderen abläuft, was er fühlt und was er braucht. Mir fällt da dieser Abend wieder ein, an dem Edvard völlig geknickt nach Hause kam. Es war ein Mittwoch, einer jener Abende, an denen er in die
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