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Eine Wohnung mitten in der Stadt (German Edition)

Eine Wohnung mitten in der Stadt (German Edition)

Titel: Eine Wohnung mitten in der Stadt (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephan Niederwieser
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fest an sich heran – wie ein Kind, das seinen Teddy zum Einschlafen braucht. Dann sprach ich meine abendlichen Affirmationen: „Ich bin zufrieden und glücklich. Ich bin zufrieden und glücklich. Ich bin zufrieden und glücklich.“ Darüber schlief ich ein.
    Inzwischen war es März, und das Wetter spielte verrückt: Die Sonne schien grell, die Temperatur kletterte auf dreißig Grad, es fühlte sich an wie Sommer. Aber die Natur, so sehr sie sich auch mühte, konnte nicht mithalten. Auch wenn sie grüne Triebe aus den kargen Zweigen hervorpreßte, sie konnte niemanden darüber hinwegtäuschen, daß gerade mal das Frühjahr begann, mehr nicht. Diese eigenartige Spannung zwischen Sein und Erscheinen war für jeden deutlich zu spüren.
    Mit Bernhard war das nicht anders: Nach dem Besuch seiner Mutter ging er scheinbar ungerührt seinem Leben nach, aber ich spürte, daß etwas in ihm arbeitete, etwas von dem Ausmaß eines mittleren Meerbebens: Während an der Oberfläche nur ein wenig Blubbern zu sehen war – er hatte sie seither mehrmals angerufen – und vielleicht ein paar ungewöhnliche Wellenformationen – ab und zu sprach er sogar über sie –, brodelte es tief unten – er las nicht, sondern saß einfach nur herum und dachte nach –, und es dauerte Wochen, bis der aufgewühlte Schlamm sich wieder setzte.
    Andere würden ihren Partner darauf ansprechen, aber Bernhard, ganz im Gegensatz zu mir, war nicht der Typ, der sich offenbarte, und ich hatte gelernt, nicht zu bohren, denn so verschloß er sich meist nur noch mehr.
    Abgesehen von diesen kleinen Turbulenzen vergingen die Wochen wie im Flug. Das lag aber nicht daran, daß wir von einem Ereignis zum nächsten hetzten, sondern eher daran, daß unser Leben zur Routine geworden war, sehr viel ausgeglichener und konstanter als in den Jahren, bevor Professorchen in mein Leben platzte. Die Tage begannen einander dermaßen zu ähneln, daß Wochen in der Erinnerung zu Tagen verschmolzen; die seltenen Blicke auf den Kalender schafften es immer wieder, mich zu erschrecken.
    Während Bernhard seinem Job als Lehrer nachging und seine Nachmittage meistens mit Lesen zubrachte, hockte ich – außer wenn Hannah vormittags bei uns war – in meinem Laden und verscherbelte altes, aufpoliertes Gerümpel für teures Geld. Im Gegenzug mußte ich mir die „Probleme“ von Menschen anhören, mit denen ich nichts zu tun haben wollte: „Wissen Sie, ich habe gerade für fünfundzwanzigtausend Mark mein Wohnzimmer mit dunkelgrüner Seide tapezieren lassen. Ich weiß einfach nicht, ob dieser Kirschton dazu paßt. Was denken Sie?“ Oder: „Wir haben ein kleines Häuschen in Marbella gekauft, gleich neben dem Golfplatz, wissen Sie. Was wohl unsere Gäste sagen würden, wenn sie plötzlich auf einem Louis-quatorze-Eßtisch dinieren würden? Meinen Sie, er wäre für das südliche Klima zu schwer?“ Oder aber: „Am liebsten würde ich ja alles rausschmeißen, aber Sie wissen ja, mein Mann ist vierzig Jahre älter als ich. Finden Sie, ich sollte ihn vor die Wahl stellen: mich oder diesen ollen Plunder?“
    Unsere Freizeit sah folgendermaßen aus: An ein oder zwei Abenden während der Woche kamen Freunde zu uns, oder wir waren eingeladen. Die restliche Zeit gehörte uns. Dann wurstelte ich in der Wohnung herum, während Bernhard sich meist mit einem Buch zurückzog.
    Ich kenne ihn nun seit fünf Jahren. Sah man von der großen Krise im ersten Jahr ab, waren wir ebenso lange zusammen. Eine ganze Weile also. Früher, wenn ich mit Freunden, die in langjährigen Partnerschaften lebten, über ihre Beziehungen sprach, da hörte ich immer nur Langeweile. Sie erzählten von Spaziergängen, sie schwärmten von lauschigen Fernsehabenden oder Festen im Kreis der Familie. Ich aber hörte Langeweile. Die Zahl der Videos wuchs, und die Telefonrechnungen stiegen aufgrund der zunehmenden Nutzung des Internets.
    Jetzt lebte ich selbst so. Okay, die Videos in unserem Haushalt stammen von vor unserer Beziehung, und wir kommen immer noch ohne Chatrooms und Pornoseiten aus, aber sonst ist unser Leben sehr zur Routine geworden. Manchmal kam ich mir vor wie auf Schienen: Ich hatte zwar selten eine Ahnung, wohin wir fuhren, aber ich wußte, daß ich mich unweigerlich auf etwas zubewegte, was ich nicht kannte.
    Am nächsten Morgen um Viertel vor sechs läutete der Wecker – wie immer während der Woche. Ich sprang aus dem Bett – Bernhard brauchte immer ein bißchen länger, bis er aus den Federn kam –,

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