Eine Wohnung mitten in der Stadt (German Edition)
reizte, ihn mehr erregte. So auch im Sex. Er versuchte, mir meine geheimsten Wünsche zu entlocken, lieh Videos mit Sexpraktiken aus, die wir nicht ausprobiert hatten, nur um sicher zu gehen, daß wir nichts versäumten.
Er bemühte sich um unser beider Befriedigung, unsere Zufriedenheit, so sehr, daß ich bald das Gefühl bekam, daß er etwas vermißte. Und seit diesem Gefühl hatte Sex plötzlich einen Beigeschmack.
Es fiel mir damals schon auf; es war mir bewußt, aber ich sagte nichts. Ich ließ es geschehen, schlimmer noch, ich machte mit, ohne rechtzeitig die Notbremse zu ziehen. Ich könnte mich herausreden und sagen, Sex hätte mir nicht so viel bedeutet, oder daß ich Wichtigeres zu tun hatte, aber auch das wäre eine Lüge. Die Wahrheit ist: Ich wollte es nicht sehen, ich verdrängte es.
„Das Leben geht weiter“, dachte ich, „es ist nur eine Phase, und bald wird wieder eine andere Phase kommen.“ Aber es sind die kleinen, scheinbar unwichtigen Ereignisse, die unsere Beziehungen dauerhaft verändern. Wer weiß, vielleicht wäre alles anders gekommen, hätte ich ihn nicht gehen lassen, hätte ich ihn festgehalten und geküßt. Aber nein, ich ließ zu, daß er ging und die Tür hinter sich zuzog. Ich schlief ein, ohne sicherzugehen, daß er wußte, wie sehr ich ihn liebte.
Bernhard *
„Liebeshospital Bornheimer und Moll“, antwortete Edvard genervt. Es war schon der dritte „Problem-Anruf“ an diesem Abend. Ich weiß auch nicht, aber seit unserer Trauung im September hatten wir uns langsam aber sicher zur Sozialstation entwickelt: Wer Sorgen hatte, kam damit zu uns.
„Jean-Paul, darling … Ja … Ich ruf dich morgen in der Firma zurück … Wieso nicht? … Dann geh eben in eine Telefonzelle. … Nein, ich habe wirklich keine Lust mehr. Gute Nacht.“ Edvard legte auf, schaltete den Klingelton seines schnurlosen Telefons ab und den Anrufbeantworter an. Es war der siebenundzwanzigste April, das Ende der Osterferien nahte, und Edvard hatte mal wieder so viele „Termine“ ausgemacht, daß für uns wenig Zeit geblieben war.
„Vergiß das Handy nicht“, sagte ich zu ihm, dann schaltete ich auch mein Telefon aus, denn wenn unter seiner Nummer keiner abnahm, wählten sie meine.
Mein Mann schmunzelte mich an. Er setzte diesen Blick auf, mit dem er mich auch heute noch rumkriegt. Er stand auf und kam langsam zu mir herüber. Dann stützte er sich auf die Armlehnen meines Stuhl und senkte seinen Kopf zu mir herab. Sobald sich unsere Lippen berührten, durchzuckte es mich, und mir wurde heiß. Er schob seine Zunge langsam zwischen meine Lippen hindurch in meinen Mund; Sex auf dem Eßtisch, das hatten wir schon lange nicht mehr gehabt. Ich legte Edvard gerade meine Arme um die Hüften, da klingelte es an der Wohnungstür.
„Mach nicht auf“, flüsterte er, küßte mich weiter und hielt meinen Kopf fest.
Es läutete wieder. Ich nahm Edvards Zögern wahr; es fiel ihm schwer, dem Ruf seiner Freunde nicht zu folgen. Jetzt hielt ich ihn fest. Die Momente, in denen es zwischen uns prickelte, waren rar geworden, ich wollte diesen hier nicht unterbrechen. Wieder das Läuten.
„Wer immer da draußen steht, Berni, er sieht das Licht durch den Spion. Außerdem hat er uns reden gehört.“
Wenn es einer unserer Freunde war, würde Edvard ihn hereinlassen, und dann wäre der Abend ruiniert. Ich mußte selbst hingehen, nur dann hatten wir eine Chance. Ich packte Edvard an den Armen, zog mich hoch, wirbelte ihn herum und setzte ihn auf meinen Stuhl. Dann ging ich an die Tür, entschlossen, der Störung ein rasches Ende zu bereiten.
Im Treppenhaus stand ein junger Mann. Seine Haut war dunkel wie Gartenerde. Ich schätzte ihn auf achtzehn oder zwanzig. Unter einem silberfarbenen Anorak – Ende April hatte das Wetter längst wieder umgeschlagen und sich auf die üblich kalten Temperaturen abgekühlt – trug er ein graues T-Shirt, das eng an seiner Haut anlag, orange Neonstreifen liefen quer über die muskulöse Brust. Er steckte in einer schwarzen Hose, auf der viele große Taschen mit weißen Nähten aufgebracht waren; sie war weit geschnittenen und vermittelte die Botschaft: „Mein Arsch ist so knackig, ich hab es nicht nötig, ihn zu betonen“.
Die Augen des nächtlichen Besuchers leuchteten aus dem dunklen Gesicht heraus, und als er seine fleischigen Lippen bewegte, um zu sprechen, blitzten mir Reihen von großen, perfekten Zähnen entgegen.
„Hi. Kann ich mit Edvard sprechen?“ Sein
Weitere Kostenlose Bücher