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Eine Wohnung mitten in der Stadt (German Edition)

Eine Wohnung mitten in der Stadt (German Edition)

Titel: Eine Wohnung mitten in der Stadt (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephan Niederwieser
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Geschenk für uns. Bernhard und ich verneigten uns vor ihm, jeder aus anderen Gründen. Und doch wurde ich den Verdacht nicht los, daß unser afrikanischer Gast es faustdick hinter den Ohren hatte.
    Es kam mir langsam merkwürdig vor, daß Malvyn immer ausgerechnet dann dringend etwas aus dem Bad brauchte, wenn einer von uns gerade aus der Dusche kam. Auch lief er zu gern nackt in der Wohnung herum. Und die Fragen, die er mir über unsere Freunde stellte, waren auch nicht bloßer Zeitvertreib. Hatte er doch etwas gewittert?
    „Hast du mitgekriegt, wie gern Malvyn mit Lipstick zusammen ist?“ fragte ich Berni eines Abends vor dem Schlafengehen – obwohl sich Malvyn offensichtlich sehr viel mehr für Max interessierte, aber ich hätte nie gewagt, das anzusprechen.
    „Nein. Wie kommst du darauf?“ fragte er, steckte sich die Bürste in den Mund und begann sich die Zähne zu putzen.
    „Lipstick hat mir gesagt, daß Malvyn schon das dritte Mal in der Parfümerie aufgetaucht ist und ihn drängt, mal mit ihm auszugehen.“ Dann schob auch ich mir die Zahnbürste in den Mund und begann zu schrubben.
    Eine Weile standen wir so nebeneinander und betrachteten das Bild von uns beiden im Spiegel – das sind die Momente, wegen derer es sich lohnt, eine Beziehung zu haben, dachte ich.
    Berni spuckte aus und fragte: „Und? Wie ist Lipstick damit umgegangen?“
    „Er hat zugesagt. Weil er weiß, daß Malvyn nichts von dem schwulen Kram erfahren soll, wird er ihn nach Schwabing in den ‚Hetendistrikt‘ ausführen.“
    „Na, dann ist doch alles in bester Ordnung.“

Malvyn *
     
    Jeder, der mich kennenlernte, wollte wissen, wie es mir in Deutschland gefiel. „Gut“, antwortete ich, obwohl es nicht der Wahrheit entsprach. In diesem Land war vieles ganz anders als zu Hause: Die Autos fuhren auf der falschen Straßenseite, im Supermarkt packte man die Lebensmittel selbst ein, und in Kaufhäusern mußte man lange suchen, bevor man eine Verkäuferin fand, die einem Auskunft geben wollte. Hatte man dann endlich eine gefunden, standen meist schon fünf Kunden vor ihr, oder sie unterhielt sich mit einer anderen Verkäuferin über Privates und ließ alles andere warten. Überall mußte man warten. Aber an all das hätte ich mich gewöhnen können.
    An anderes würde ich mich nie gewöhnen: Es gab zu viele Häuser in diesem Land, und sie standen so eng aneinander, daß dazwischen zu wenig Platz war für Grün. Ich lief lange durch den Englischen Garten auf der Suche nach Natur. Die Isar, der Fluß, der München durchschneidet, liegt in einem betonierten Flußbett. Ein paarmal sind Ed und B – B, wie das englische to be, weil es ihm gut getan hätte, ein bißchen mehr zu sein, anstatt so viel zu denken, aber auch B, wie bee, das englische Wort für Biene, die immer ein bißchen aggressiv herumsurrt, oft laut brummt und sticht, sobald sie sich bedroht fühlt – mit Hannah und mir in die Berge gefahren. Aber nie kamen wir an eine Stelle, von wo aus ich keine Strommasten sehen, keine Autos oder Flugzeuge hören konnte. Es gab immer etwas, was mich daran erinnerte, daß die Landschaft von Menschenhand verändert wurde.
    Als ich Ende April in Deutschland ankam, ging die Sonne morgens um 6 Uhr auf und um halb neun unter. Jetzt, Ende Mai ging sie fast eine Stunde früher auf und blieb bis fast halb zehn Uhr sichtbar; in Simbabwe geht sie fast immer zur selben Zeit auf und unter. Außerdem dauert der Wechsel vom Tag zur Nacht oder von der Nacht zum Tag jeweils nur ein paar Minuten; im einen Moment ist es noch hell, im nächsten schon tief dunkel. Ja, nein; schwarz, weiß. Es ist entweder das eine oder das andere und nichts dazwischen, eben so wie unser Leben, ganz anders als in Deutschland.
    In Deutschland dauert der Sonnenuntergang ewig. Du schaust auf den Horizont, glaubst, daß die Sonne gleich untergehen wird, und eine Viertelstunde später ist sie immer noch da. Es schien mir symptomatisch für die deutsche Mentalität: ein ewiges „Vielleicht“.
    Aber es gab noch anderes, was ich sehr eigenartig fand. Wenn sich bei uns jemand ein Auto leisten konnte, machte es ihn glücklich. Hier machten Autos die Menschen unglücklich. Sobald jemand in eine dieser Blechkisten stieg, verdunkelte sich sein Gesichtsausdruck, riß er vor Aggression seine Augen weit auf.
    Und dann die „Termine“. Es gab mehrere Regeln darüber: Man durfte sich nicht treffen, ohne sich vorher verabredet zu haben. Jeder trug einen dicken Kalender mit sich herum und

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