Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Eine Wohnung mitten in der Stadt (German Edition)

Eine Wohnung mitten in der Stadt (German Edition)

Titel: Eine Wohnung mitten in der Stadt (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephan Niederwieser
Vom Netzwerk:
krank.
    Was passierte? Max kam, und der sprudelnde Quell Malvyn versiegte – dabei konnte man Max ja nun nicht gerade als Stimmungskanone bezeichnen. Sie unterhielten sich, aber es herrschte eine merkwürdige Spannung im Raum. Malvyn konnte seine Augen nicht von dem Schriftsteller lösen; er beobachtete ihn, ja, musterte ihn sogar.
    „Max ist unmöglich“, sagte ich später zu Edvard.
    „Was hat er denn jetzt schon wieder angestellt?“
    „Hast du das nicht gesehen? Der ist hinter Malvyn her wie Steven Spielberg hinter einem Oscar.“
    „Berni. Deiner Meinung nach ist Max ein Lustmolch und sein ganzes Streben nur auf Sex ausgerichtet. Kannst du es nicht den beiden überlassen, ob sie sich mögen?“
    „Eins sag ich dir gleich: Ich laß Malvyn nicht mit ihm allein.“
    Auf Fremde ging Malvyn ebenso offen zu wie auf unsere Freunde. Zum Beispiel grüßte er jeden, dem er auf der Straße begegnete. Er strahlte sie einfach an und brachte ihnen sein englisch-afrikanisches „Gruß Gott“ entgegen – es dauerte, bis er die Umlaute meisterte. Jeder weiß, wie die meisten Deutschen darauf reagieren: Nur wenige ließen sich von seiner Offenherzigkeit anstecken, grüßten zurück und gingen mit einem Lächeln weiter, die meisten liefen an ihm vorbei, als hätten sie seinen Gruß nicht gehört. Manche blieben sogar stehen und schauten uns mit finsteren Mienen hinterher – das war für uns sehr schmerzlich zu erleben.
    Manchmal erschreckten Menschen auch vor Malvyn, besonders Frauen, zum Beispiel, wenn er beim Einkaufen hinter ihnen in der Schlange stand und sie sich zufällig umdrehten. Manchmal gingen sie unsensibel mit ihm um: Einmal zeigte eine Mutter mit dem Finger auf ihn und sagte zu ihrem kleinen Sohn: „Schau Bertl, do is a Neger.“
    In solchen Momenten zuckte Malvyn und lächelte dann sein ansteckendes Lächeln. Aber danach war er eine Weile lang sehr still. Simbabweaner sind gutmütige Menschen, das lernten wir bald. Wie sonst könnte sich ein Präsident wie Robert Mugabe, der sein Volk ausbeutete und belog, so lange an der Macht halten?
    Es war einfach, Malvyn in unser Leben zu integrieren, so einfach, daß Edvards Vorsicht und Zurückhaltung bald schwanden – nicht, daß er damit sonst sehr zögerlich umginge.
    Schon ein paar Tage nach Malvyns Ankunft nannte mich Edvard wieder „Professorchen“, strich mir im Vorbeigehen über die Wange oder pickte mir beim Abendessen Krümel aus dem Bart. Das Telefongespräch mit seinem Vater half ihm dabei, denn er hatte Edvard geradezu verboten, sich seinetwegen zu verstellen. Sicher, es mußte auch dem Vater klar sein, daß Edvard auf Dauer nicht so tun könnte, als wäre er ein anderer, und Malvyn das „kleine Geheimnis“ bald offenbar werden würde. Nur um eins hatte sein Vater gebeten: dezent zu sein. „Du mußt ihn ja nicht ausgerechnet auf eine Sexparty schleppen“, waren, laut Edvard, seine Worte. Na ja, davor mußte er bei uns keine Angst haben.
    Malvyn war auch deshalb einfach zu integrieren, weil er den unglaublichen Charakterzug besaß, niemals im Weg zu sein. Ganz gleich, was wir zu erledigen hatten, er schloß sich einfach an, neugierig saugte er unsere Art zu leben in sich auf. Auch wußte er viel über die Kultur seines Landes zu erzählen, über dessen Geschichte und die Shona, von denen er abstammte. Es war geradezu spannend, sich mit ihm zu unterhalten. Ich hatte mich mit Kulturgeschichte beschäftigt, aber es war immer das Europäische gewesen, was mich interessiert hatte, vielleicht noch das Slawische, aber nie Afrika. Im Gegenzug wollte er alles über unser Leben wissen. Abends, nachdem er die Stadt auf seine Weise erkundet hatte – ich gab ihm gleich zu Beginn eine Liste von Sehenswürdigkeiten und einen Stadtplan, aber beides blieb wochenlang unbeachtet auf der Kommode im Gästezimmer liegen –, überschüttete er mich mit Fragen: „Wieso werden Menschen ärgerlich, wenn die S-Bahn Verspätung hat?“
    Zuerst verstand ich die Frage nicht. Das war doch eigentlich eine klare Sache. „Weil man pünktlich ankommen will. Ich meine, wozu haben wir denn Fahrpläne?“
    „Gute Frage. In Harare gehen wir zur Bushaltestelle. Wenn der Bus kommt, steigen wir ein. Kommt er nicht, warten wir. Ihr solltet keine Fahrpläne haben, sie machen euch Streß.“
    Sein Blick auf unsere Welt war erfrischend. Obwohl er aus einer Großstadt kam, die einer europäischen durchaus vergleichbar war, sah er vieles ganz anders. „Warum beschäftigt ihr euch so viel

Weitere Kostenlose Bücher