Eine Wohnung mitten in der Stadt (German Edition)
weiser als ich. Sieh das Ganze doch mal esoterisch.“
„Ach ja, und wie?“
„Na ja, da sind doch bestimmt irgendwelche Planeten da draußen, die um Räucherstäbchen kreisen und dabei ein universelles ‚Om‘ anstimmen.“
„Arsch!“
„Edvard, es geht um ein Menschenleben“, setzte er hinzu.
„Nicht nur Malvyn ist davon betroffen, mein Herzchen. Das gilt für alle Schwulen und Lesben. Warum gründen wir nicht gleich ein Asylbewerberheim für Homosexuelle aus Harare, nein, was sag ich, aus ganz Afrika! Und wenn wir schon dabei sind, könnten wir auch noch die Schwuchteln aus dem Iran …“
„Edvard. Edvard!“ Berni schüttelte mich. „Jetzt hör schon auf. Merkst du denn gar nicht, was du da sagst? Mit diesem Argument bräuchte niemand mehr etwas für irgend jemanden tun. Malvyn ist eben in der glücklichen Lage, einen schwulen Onkel zu haben.“
„Halbonkel, bitte!“
Er schaute mich an: „Nu bleib mal auf dem Punkt, ja?“
„Da hängt doch alles mögliche mit dran. Hat er denn eine Aufenthaltserlaubnis? Wie ist er denn aus dem Land rausgekommen? Da braucht man bestimmt ein Visum.“
„Natürlich brauchte er eins.“
„Er ist unter einundzwanzig. Er hat doch bestimmt die Unterschrift seiner Eltern gebraucht. Dann frage ich mich allerdings, warum Angelika nicht angerufen hat, bevor sie ihn hat abreisen lassen?“
„Sie wußte nicht, daß er zu dir fährt. Er hat gesagt, daß er Europa kennenlernen will“, antwortete Berni.
„Ach so?“
„Während du geduscht hast, hat Malvyn mir erzählt, daß sie ihm das Geld für die Reise gegeben und auch das Visum besorgt hat.“
„Kommt dir das nicht ein bißchen komisch vor? Ich meine, würdest du Hannah mit zwanzig wegfliegen lassen, ohne zu wissen, wohin sie geht und was sie dort macht?“
„Ich vermute, daß deine Schwester wie alle Mütter weiß, was mit Malvyn los ist“, antwortete Berni. „Und wenn das stimmt, hat sie vermutlich gehofft, daß er zu dir fährt. Einen Grund, der Simbabwe für jeden Heranwachsenden zur Hölle macht, hat er vorher noch gar nicht erwähnt.“
„Was?“
„Jeder vierte seiner Altersgruppe hat Aids. Tendenz steigend.“
Mir wurde ganz schwindelig, als ich mir klarmachte, was das bedeutete. „Hat er denn schon mal Sex gehabt?“ fragte ich, blieb stehen und hielt mich an Bernhard fest.
„Nein, glücklicherweise nicht. Er hat mir gesagt, daß er bisher zu viel Angst davor gehabt hat.“
„Gott sei Dank.“
Wir gingen eine Weile still nebeneinander her; inzwischen waren unsere Regenjacken tropfnaß, das Haargel lief mir herunter und sammelte sich in meinem Kragen.
„Bist du jetzt überzeugt, daß er bleiben muß, Edvard?“
„Ja.“ Ich blieb stehen, lehnte meinen Kopf an seine Brust. „Sorry, das kommt alles ein bißchen heftig, weißt du. Natürlich darf Malvyn schwul sein, und natürlich stehe ich ihm gerne als ‚Doktorvater‘ Pate. Es ist nur …“
Ja, was war es eigentlich? Malvyn wollte es so. Und wenn es tatsächlich so war – und das wollte ich erst mal herausfinden –, daß Angelika hinter Malvyns Besuch steckte, dann waren meine Befürchtungen unnötig, im Gegenteil: Wenn ich Malvyn hülfe, würde es dazu beitragen, daß die Familie ein bißchen mehr zusammenwächst. Auch mein Vater würde damit leben können. Warum fühlte ich mich also komisch damit? Egal, wie sehr ich darüber nachdachte, ich konnte mir diese Frage nicht beantworten. Manchmal sieht man eben den Wald vor lauter Bäumen nicht.
Als wir in unsere Straße einbogen, hörten wir „Dancing Queen“ von Abba; Malvyn hatte das Wohnzimmerfenster geöffnet, er würde uns noch die Polizei ins Haus holen. Wir schauten uns an und schüttelten den Kopf.
Unser Neffe lag im Wohnzimmer auf dem Boden und sang lauthals mit, sprang aber auf und drehte die Musik herunter, sobald wir eintraten.
„Grundsätzlich kannst du bleiben“, sagte ich. „Aber ich will das Okay von deinen Eltern. Verstehst du?“ Ich kam mir dabei wie ein Arschloch vor, so wie einer, der jemand mit einem Fingerschnippen vernichten könnte, aber ihn gnädigerweise leben ließ.
„Reicht dir das Okay von meiner Mutter?“ fragte er mich. „Ich habe es Paps noch nicht gesagt, weißt du. Ich wollte es erst, wenn …“
Ich warf Berni einen fragenden Blick zu.
„Telefoniere doch einfach mal mit deiner Schwester“, sagte er. „Dann wirst du schon mitkriegen, wie der Hase läuft.“
Bernhard hatte recht. Ich schaute Malvyn an, der ganz aufgeregt war.
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