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Eine Wohnung mitten in der Stadt (German Edition)

Eine Wohnung mitten in der Stadt (German Edition)

Titel: Eine Wohnung mitten in der Stadt (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephan Niederwieser
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war zu klein, um heranzukommen. Deshalb ließ ich die Spüle vollaufen und legte die Blumen darin ab. „Ich finde im Moment keine Vase. Sie müssen entschuldigen, ich bin hier nicht zu Hause.“
    „Aber ich bitte Sie, Signora. Das ist doch kein Problem.“ Herr Bortalozzi hatte sich in einen Stuhl gezwängt und saß nun aufrecht am Tisch wie ein Schuljunge.
    „Tee?“
    „Gerne.“
    „Edvard hat ganz frischen gekauft“, sagte ich und wedelte den Karton mit den Beuteln.
    „Wie fürchterlich!“ sagte Herr Bortalozzi und verzog das Gesicht. „Diese Jugend. Barbaren! Wie sie mit Nahrung umgehen, das grenzt an Blasphemie.“
    Er hatte eine wunderbare Art, seinen Worten Nachdruck zu verleihen. Ich fühlte mich mit ihm sehr verbunden. Es mag daran liegen, daß wir ähnlichen Alters waren, die gleiche Generation eben, die gleichen Erlebnisse, das gleiche Verständnis für die Welt.
    „Wenn Sie erlauben, dann sehe ich mal nach“, sagte er.
    Ich trat aus der Küchentür, um ihm Platz zu machen. Auch Herr Bortalozzi tat sich schwer, sich aus dem Stuhl zu erheben; bei ihm lag es aber wohl eher am Gewicht.
    „Ich hab hier schon einige Male gekocht, damit die ragazzi mal was Ordentliches zwischen die Rippen bekommen – meiner Ansicht nach sind sie ja beide viel zu dünn. Obwohl dieser Edvard es mit der Ordnung nicht so genau nimmt, weiß ich, wo die meisten Sachen sind.“ Den letzten Satz sagte er unter vorgehaltener Hand. Er äußerte sich oft geringschätzig über den Freund meines Sohnes.
    „Zuerst einmal setzen wir Wasser auf, damit wir die Teekanne vorwärmen können.“ Er griff fachmännisch zum Wasserkocher. Ich fürchtete mich vor diesen Geräten: Strom und Wasser, das konnte nicht gut gehen. „Und dann …“ Schon im zweiten Schrank wurde er fündig, „nehmen wir den Tee …“
    „Die Filter liegen bei den Gewürzen, die habe ich da schon mal gesehen“, sagte ich.
    „Papperlapapp Filter! Entschuldigen Sie, Signora, aber so einen Tee, den läßt man sich nicht durch einen Filter verhunzen.“
    Ich spürte die Hitze in mein Gesicht steigen; Gott sei Dank konzentrierte er sich aber auf die Teedose. Als er den Deckel aufgestemmt hatte, hielt er mir die Dose unter die Nase, bis dahin war die Röte wohl schon wieder verschwunden, jedenfalls tat er so, als bemerkte er es nicht. Ein wahrer Gentleman eben.
    „Mmh. Der riecht aber gut“, sagte ich.
    „Es ist ein Castleton Darjeeling, SFTGFOP 1. Blumig, süßlich, man möchte meinen, er sei parfümiert, ist er aber nicht. Er bildet sozusagen das Parfüm aus, wie es nur die Natur selbst hervorzubringen vermag. Der Tee stammt aus Frankreichs feinstem Teehaus Mariage Frères. Ein Unternehmen mit Tradition, bereits 1857 gegründet. Ein absolutes Unikat.“
    Herr Bortalozzi war so weltgewandt. Er sprach über Dinge, von denen ich nicht einmal wußte, daß sie existierten. Und seine Wortwahl!
    „Hätte ich gewußt, daß so guter Tee im Haus ist …“, sagte ich, „den hätte ich schon öfter getrunken.“ Ich bemerkte, daß ich ihm gefallen wollte.
    „Gnädige Frau, ich befürchte, daß es die Buben selbst nicht wissen. Den hab ich ihnen nämlich zu Weihnachten geschenkt, und wie Sie sehen konnten, die Dose war noch versiegelt.“ Er schüttelte den Kopf, während er die Kanne zu einem Drittel mit kochendem Wasser füllte und sie dann schwenkte, bevor er es ausgoß. Dann gab er drei gehäufte Löffel Tee in die Kanne und überbrühte sie mit etwa einer Tasse Wasser: „Schnuppern Sie jetzt!“
    Ich hielt meine Nase darüber und sog den zarten Duft ein. Es roch weich nach Aprikosen und mild nach Sahne.
    „Nein, nein, schließen Sie die Augen, Signora. Sie müssen nicht nur riechen. Sie müssen fühlen … Ja, so ist es richtig. Ich sehe es an Ihrem Teint, daß Sie den Geist dieser Pflanze erkennen.“
    Ich war errötet, das war es, was er mit meinem Teint meinte. Der heiße Dampf streichelte meine Wangen, und ich fühlte mich eingehüllt, davongetragen, aufgehoben. Als ich die Augen öffnete, schaute ich direkt in seine. Ich wendete mich ab und strich mein Kleid glatt. „Das war sehr schön“, versuchte ich zu sagen, aber es klang brüchig. Ich mußte mich räuspern.
    Er wartete exakt drei Minuten, bevor er den kräftigen Sud mit Wasser aufgoß. Mit Sieb und Kandiskörnern bewaffnet schritt er zurück an den Tisch. Seine Bewegungen war so fachmännisch, so gezielt. Er weckte Vertrauen, ein wirklich imposanter Mann.
    Ich nahm die Torte aus dem Kühlschrank.

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