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Eine Wohnung mitten in der Stadt (German Edition)

Eine Wohnung mitten in der Stadt (German Edition)

Titel: Eine Wohnung mitten in der Stadt (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephan Niederwieser
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dem Klang zu vermengen und gemeinsam mit mir eine neue Harmonie zu gründen. Genau so hatte ich mir das Tanzen immer vorgestellt – nur Theo hatte es nie mit mir getan.
    Raimondo und ich tanzten und tanzten und tanzten, bis sich unsere Gesichter röteten und unsere Herzen so schnell schlugen, daß wir den Puls des anderen in den Händen spüren konnten. Die Musik trug uns davon.
    Als Edvard und Hannah nach Hause kamen, schreckten wir aus dem Taumel.
    „Guten Abend“, sagte Edvard. „Ich sehe, Sie unterhalten sich ausgezeichnet.“
    Wir verlangsamten unseren Schritt und blieben stehen, japsten nach Luft und lachten, da fragte die Kleine: „Oma, Oma. Ist Mondo jetzt mein Opa?“

Edvard *
     
    Es läutete, und ich ging an die Tür: „Kennen Sie Gott?“ fragten mich zwei Herren im dunklen Anzug. Ihr Haar war schlecht geschnitten, und die Scheitel glänzten vom Schweiß. Es mußten Zeugen Jehovas sein oder so was ähnliches.
    „Nein“, antwortete ich. „Ich nicht. Aber vielleicht mein Mann. Bernhard, Schatz, kommst du mal?“ rief ich in die Wohnung. Daraufhin ergriffen die beiden die Flucht.
    Ich schloß die Tür und setzte mich wieder zu Oma an den Tisch. „Noch Tee?“ Da erst sah ich den Schrecken in ihrem Gesicht. „Sie müssen schon entschuldigen, aber dieses An-der-Tür-stehen-und-fremde-Menschen-belästigen empfinde ich als massive Belästigung.“
    Als Antwort schob sie den Teller von sich und pickte ein paar Krümel von der Tischdecke. In so mancher ihrer Gesten erkannte ich ihren Sohn wieder.
    „Also, wie war das jetzt noch mal mit den Zwangsarbeitern?“ versuchte ich an das Gespräch von vorhin anzuknüpfen. Aber da läutete das Telefon.
    Ich entschuldigte mich bei Oma und ging ran. „Bornheimer“, sagte ich, und als ich Malvyns Stimme erkannte: „He, Bruder, wie geht‘s dir?“
    „Okay“, antwortete er.
    „Nur okay oder okay okay?“ fragte ich nach, während ich mich ins Wohnzimmer zurückzog und aufs Sofa legte.
    „Nur okay.“
    „He, was ist passiert?“
    „Ich weiß nicht. Ich glaube, ich habe einfach nur ein bißchen Sehnsucht nach euch. Ich zähle schon die Tage.“
    Oma klapperte draußen mit dem Geschirr.
    „Aber was ist aus deinen neuen Freunden geworden, aus David und Griffin und Buela?“
    „Ich weiß nicht.“
    „Ich weiß nicht. Ich weiß nicht. Was soll das heißen, Mann?“ Im Großen fiel etwas zu Boden und zerbrach. „Malv, hör zu. Kann ich dich heute abend zurückrufen?“
    „Ja, okay. Sag Hi zu B. Ich warte auf deinen Anruf.“
    „Okay. Halt die Ohren steif.“
    Als ich ins Große kam, krabbelte Oma gerade unter dem Tisch hervor. Ein Teller war ihr aus der Hand gefallen und lag nun in Scherben auf dem Boden.
    „Es tut mir leid“, sagte sie. „Ich weiß auch nicht. Manchmal ist mir schwindelig, und dann passiert so was.“
    „Ist doch kein Problem. Auf keinen Fall sollten Sie unter dem Tisch herumkriechen. Dafür bin ich doch da.“
    Ich hatte die Scherben auf den Tisch gelegt und half nun Oma auf die Beine. Dann steckte ich den kaputten Teller in den Müll und setzte mich wieder zu ihr.
    „Das ist mir aber unangenehm, Edvard“, sagte sie.
    „Jetzt aber …“ Ich wollte nicht, daß sie sich dafür entschuldigte. „Wir wurden unterbrochen. Wir waren gerade bei der Entschädigung der Zwangsarbeiter und wie schändlich die deutsche Wirtschaft damit umgeht.“
    Sie kontrollierte ihre Frisur. Ich sah, wie sehr sie sich genierte, deshalb bot ich ihr eine weitere Tasse Tee an.
    „Nein, danke. Wirklich nicht.“ Sie schaute mir kurz in die Augen. Sie kämpfte noch, entschied sich dann wohl doch dafür, die Scherben nicht mehr zu erwähnen. „Darf ich Sie was fragen, Edvard?“ sagte sie dann, und es klang gewichtig. „Heute habe ich im Mittagsprogramm einen Bericht über den Christophstag gesehen. Sagt Ihnen das etwas?“
    „Christopher Street Day? Ja, natürlich.“
    „Die sprechen heute so schnell! Als alter Mensch kommt man da gar nicht mehr mit. Und was ist das?“
    „Der CSD geht auf eine Polizeirazzia zurück, die im Juni 1969 in New York stattgefunden hat. Die Polizei stürmte damals das Stonewall Inn, angeblich weil die Lizenz zum Alkoholausschank gefehlt hat. Der wahre Grund ist aber, daß unter Nixon viele Übergriffe auf Homosexuelle und Transvestiten von staatlicher Seite stattgefunden haben. Nur diesmal setzten sich die Leute zur Wehr und heizten den Polizisten ordentlich ein. Trotz angerückter Verstärkung hat es Stunden gedauert, bis sie

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