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Eine Wohnung mitten in der Stadt (German Edition)

Eine Wohnung mitten in der Stadt (German Edition)

Titel: Eine Wohnung mitten in der Stadt (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephan Niederwieser
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nicht das, was ich möchte. Ich bin schon ein paarmal gegen die Tischkante gestoßen, obwohl ich genau weiß, wo sie ist. Ist das nicht eigenartig? Es ist eben nicht leicht, alt zu werden.
    Ich wünsche Dir, daß all Deine Wünsche, mit denen Du auf die Reise gegangen bist, in Erfüllung gehen. Und ich freue mich schon sehr auf unser Wiedersehen.
    Mit all meiner Liebe
    Lydia
    P.S. Bitte vergiß meinen Brief nicht.

Edvard *
     
    „Bernhard! Hast du das Poppers aus dem Kühlschrank genommen?“
    „Nein. Mir ist auch schon aufgefallen, daß es fehlt. Malvyn wird doch nicht …“
    „Nein. Wir haben es nach seiner Abreise noch benutzt.“
    „Meinst du, Mutter …?“
    Bernhards Mutter hierzuhaben war schon eine Umstellung. Am Anfang war mein Mann peinlichst darauf bedacht, alle schwulen Themen auszuklammern und auch ja niemanden einzuladen, der nur im entferntesten für schwul gehalten werden konnte. Er verweigerte sogar den Einkaufskorb, den ihm seine Mutter mitgeben wollte, weil der ihm zu schwul vorkam. Aber natürlich war das Thema nicht zu vermeiden, nicht in unserem Haushalt und nicht über die Dauer von Wochen.
    Lydia war keine fünf Tage bei uns, da rauschte Hannah in meinem Brautkleid aus dem Schlafzimmer heraus; wie sie da in den Pumps daherschlurfte, es war einfach zum Schreien. Bernhard fing an zu stottern, so sehr suchte er nach einer Ausrede, seine Mutter dagegen lachte mit mir. Dann wurde sie einen Moment lang still, vermutlich weil ihr dämmerte, daß ein Brautkleid in unserem Haus eine Bedeutung haben mußte, die nicht in ihr Weltbild paßte, aber schon bald blendete sie das aus, nahm Hannah auf den Schoß und half ihr, die viel zu großen Handschuhe am Kleid zu befestigen, damit sie nicht mehr herunterrutschten.
    Ein anderes Mal entdeckte sie beim Wäsche-Einräumen meine Chaps und meinen Harneß – kein Mensch hatte sie gebeten, an den Schrank zu gehen –, die ich zwar seit Jahren nicht mehr trug, tragen durfte, aber nie weggegeben hatte, einfach weil sie so teuer gewesen waren. Die Jacke bedurfte ja kaum der Erklärung, aber es war mir einfach zu albern, ihr vorzulügen, daß die Ledermaske mit den Reißverschlüssen meine Faschingsverkleidung war.
    Außerdem konnte ich manchmal nicht aus mir heraus. Als die Stadt ein kostenloses Konzert veranstaltete, um die Anwohner des Messegeländes für die Belästigung zu entschädigen, die ihnen durch den Abbruch entstanden war, ging ich mit Frau Moll an die Pforte der Messe, um vier Karten abzuholen: für sie und Raimondo, für Bernhard und mich.
    Als der kleine dicke Pförtner von seiner Zeitung aufschaute, merkte ich den kleinen Brillanten in seinem Ohrläppchen. „Mit wem gehen Sie denn hin?“ fragte er und blitzte mich an.
    Ich legte ihm meinen Finger unters Kinn und sagte: „Wieso, Schätzchen? Suchst du noch eine Begleitung?“ Es rutschte mir einfach so aus heraus. Ich schwöre, da war keine böse Absicht dahinter. Dabei wollte er nur wissen, wie viele Programme er mir mitgeben sollte.
    In solchen Momenten brach Lydia zwar nicht gerade in Jubelschreie aus, das gebe ich zu, manchmal schien sie sogar etwas betreten – fiel es ihr doch immer noch schwer, das Wort „Homosexualität“ auszusprechen, „schwul“ kam ihr nie über die Lippen –, aber sie bemühte sich, damit umgehen zu lernen.
    Zum Beispiel fragte sie mich, was wir in meiner schwulen Vätergruppe besprachen. Ich erklärte ihr, daß es vor allem darum ging, wie wir Väter mit unseren Kindern in der Öffentlichkeit auftreten, welche Probleme uns begegneten und wie wir unsere Kinder darauf vorbereiten konnten. „Sie machen sich ja keine Vorstellung, in welche Zwickmühle Kinder geraten, wenn in der Schule über Homosexuelle gelästert wird. Die Kleinen fühlen sich einerseits verpflichtet, ihre Eltern zu verteidigen, andererseits würden die meisten am liebsten anonym bleiben.“
    Wir redeten auch sehr offen über Beziehung und Liebe. Sie erzählte mir von ihrem Mann, den sie, obwohl er ein ziemlicher Tyrann gewesen sein muß, noch immer sehr vermißte, und ich sprach über Bernhard und mich. Ich erwähne das, weil es in einem Atemzug geschah.
    Bevor sie Bernhards Vater Theo kennenlernte, war Mutter Lydia ein „einfaches Ladenmädel“ gewesen, wie sie das nannte, und wurde so erzogen, daß der Beruf nicht wichtig war, das einzige Ziel einer Frau die Ehe sein mußte. Daher stand natürlich vieles in ihrer Partnerschaft unter einem anderen Vorzeichen als zwischen Bernhard und mir.

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