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Eine Wohnung mitten in der Stadt (German Edition)

Eine Wohnung mitten in der Stadt (German Edition)

Titel: Eine Wohnung mitten in der Stadt (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephan Niederwieser
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klang so respektlos und vertraut; ich hätte es nie gewagt, sie so anzusprechen. Und meine „Mutter“ war sie nicht, auch das hätte ich nicht getan, schon weil ich das Gefühl gehabt hätte, damit meine eigene zu betrügen. „Oma.“ Ja, das klang gut.
    Wie ich schon sagte, ihr Aufenthalt bei uns gestaltete sich als sehr, sehr simpel. Sie schlief und aß wie wir, sie ging ihrem Lebensinhalt nach wie zu Hause, sie beteiligte sich am Haushalt, sprach mit unseren Freunden und wurde so mehr und mehr Teil unserer Welt. Oma wurde damit so sehr Teil von unserem Leben, daß wir es kaum bemerkten. Aber als wir es dann merkten, schien es bereits unwiderruflich.
    Zu diesem Zeitpunkt hatte Berni sein Mißtrauen weitgehend abgelegt, genau als ich anfing, mich zu fragen, warum das Zusammenleben mit seiner Mutter so leicht ging, warum sie sich so an unserer Beziehung beteiligte? War es ihre Einsamkeit? Adoptierte sie uns als Familienersatz? Glaubte sie, nachholen zu müssen, was meine Mutter mit mir versäumt hatte? Jede dieser Fragen beantwortete ich damals mit Ja, und trotzdem behielt ich das sichere Gefühl, daß es ihr um mehr ging. Und ich hatte recht.

Lydia *
     
    Kurz vor drei. Wo mochte er nur bleiben? Ich trat wieder vor den Spiegel. Mein Haar sah unmöglich aus, aber ich wagte nicht, in dieser großen Stadt zu einem Friseur zu gehen. Allein schon die Preise. Und weiß der Himmel, was sie mir für einen „neumodischen Look“ verpaßt hätten.
    Meine Nase glänzte, ob ich sie noch einmal pudern sollte? Aber ich war so ungeschickt geworden, dann hätte ich wieder Rouge nachlegen müssen.
    Meine Halskette hatte sich an einem Knopf verfangen. Ich befreite das Kreuz und legte es auf die Brust zurück, strich den Kragen glatt und knöpfte das Kleid weiter zu. Dann rieb ich die Lippen aufeinander, um den Lippenstift besser zu verteilen.
    Noch einen Rundgang. Die Tischdecke lag nicht mittig. Ich zog sie mehr zur linken Ecke hin. Die Buben legten selten eine auf: „Der Tisch sei nicht dazu gedacht“, sagte Edvard, als wäre das eine Entschuldigung dafür, daß sie nicht eine einzige Decke besaßen, die groß genug war. Aber ein Tisch ohne Decke, das sah doch nicht aus. Ich rückte ein paar Bücher in den Regalen zurecht und schloß die Tür des Geschirrschranks. In der Spüle waren Wassertropfen; ich trocknete sie aus und drehte den Hahn fester zu.
    Inzwischen war es nach drei. Er hatte halb drei gesagt. Er wollte direkt nach seinem „Termin“ hierherkommen. Ob er im Verkehr stecken geblieben war?
    Hannah hatte auf dem Kindertisch in der Küche ein Büchlein liegen lassen: Von Katz und Maus. Ich setzte mich auf den kleinen Stuhl. Meine Hüften taten heute besonders weh; ich spürte, daß das Wetter umschlagen würde.
    Wie die Zeit verging! Ich konnte mich gut daran erinnern, als Bernhard noch in meinen Armen lag und wie ein kleiner Frosch quakte. Damals sorgte ich für ihn, heute führte er sein eigenes Leben, und ich war zur Zuschauerin darin geworden. Heute kümmerte er sich um ein Kind, so wie ich mich damals um ihn. Und in ein paar Jahren würde eine erwachsene Hannah sich auf einen Kinderstuhl setzen und über ihre Kinder das gleiche denken wie ich jetzt.
    Die Türglocke riß mich aus meinen Erinnerungen. Endlich. Ich stemmte mich hoch und ging am Spiegel vorbei, legte eine Haarsträhne an ihren Platz und öffnete dann die Tür.
    Blumen! Als der Strauß sich senkte, kam Herr Bortalozzi zum Vorschein. Er lächelte, aber ich sah gleich, daß er an diesem Tag bedrückter war als an den Tagen davor.
    „Für die schönste Signorina der Welt“, sagte er und machte seinen tolpatschigen Diener. Er war so charmant.
    „Oooch, Herr Bortalozzi. Sie machen mich ganz verlegen. Kommen Sie herein.“
    „Die sind für Sie“, sagte er und überreichte sie mir.
    „Aber das war doch nicht nötig. Ich bitte Sie.“ Ich legte die Blumen auf dem Tisch ab, half ihm aus dem nassen Regenmantel und nahm ihm den Strohhut ab. Der weiße Leinenanzug stand ihm prächtig.
    „Bitte setzen Sie sich. Ich stell nur eben die Blumen in eine Vase. Mein Gott, sind die schön! Und wie sie duften. Also wirklich!“
    Inzwischen kannte ich mich ja in der Wohnung schon ein wenig aus, aber die Vasen fand ich nicht – oder konnte ich mich nicht mehr erinnern? Das passierte mir in letzter Zeit häufig: Plötzlich wußte ich etwas nicht mehr, was mir Minuten zuvor noch völlig selbstverständlich war.
    Auf den Oberschränken stand ein Sektkübel, aber ich

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