Eine wundersame Weihnachtsreise: Roman (German Edition)
Seitenstreifen, dann schaffst du es bis dahin.«
»Ich soll loslaufen?«, fragte Anna entsetzt.
»Ja, anderenfalls bleibst du die ganze Nacht hier hängen, und ich sage dir, im Auto zu übernachten ist kein Spaß.«
»Und was wird aus dir?«
»Ich werde in die andere Richtung zur Notfallsäule gehen und warten. Auf der Raststätte gibt es bestimmt jemanden, der dich mitnimmt. Da wir näher an Rostock als an Berlin dran sind, wird mich der Abschleppwagen eher wieder nach Norden bringen. Und in meiner Bude übernachten willst du bestimmt nicht.«
Beinahe hätte Anna behauptet, dass das nicht so schlimm wäre – doch sie wusste genau, dass es schlimm war. Mal davon abgesehen, dass Marko zu Hause vielleicht ein Telefon hatte, verfügte er aber über kein Ladegerät, so dass sie auch bei ihm nicht an die Nummer ihrer Mutter käme.
Anna sah besorgt auf die Lichter, die schnell auf sie zukamen und dann an ihnen vorbeisausten. Sie hatte keine Lust, von einem LKW erfasst zu werden – aber ebenso wenig wollte sie bei Marko, dem Handyhasser, bleiben. Wer weiß, wann er Hilfe aufgetrieben bekam! Ihr war jedenfalls keine Notfallsäule in der Nähe aufgefallen.
Also würde ihr nichts anderes übrigbleiben, als zur Raststätte zu stiefeln. Vielleicht gab es dort jemanden, der zufällig ein Ladegerät dabeihatte, mit dem sie ihr Handy wieder zum Leben erwecken konnte. Und der sie mitnehmen konnte!
»Okay, dann vielen Dank fürs Mitnehmen«, sagte sie ein wenig beklommen und öffnete die Beifahrertür. Das Vorbeirauschen des Verkehrs klang bedrohlich.
»Pass auf dich auf«, riet ihr Marko, während er aus dem Fenster spähte, um die nächste Lücke zwischen den vorbeirasenden Fahrzeugen zu erwischen. »Vielleicht sehen wir uns ja irgendwann mal wieder.«
Anna war nicht sicher, ob sie das wollte. Aber die Wahrscheinlichkeit war ohnehin gering. Wenn er zu Hause ankam, würde er von der Wohnung seiner Eltern aufgesaugt und erst wieder ausgespuckt werden, wenn das neue Jahr anbrach und er wieder nach Rostock musste. »Frohe Weihnachten«, wünschte sie ihrem verhinderten Retter also, dann schritt sie voran.
12. KAPITEL
M it dem Trolley in der Hand hielt sie sich so dicht wie möglich neben der Leitplanke. Spritzwasser durchnässte sie von oben bis unten, als ein LKW an ihr vorbeijagte. Warum nur erschienen diese Kolosse so lahm, wenn man selbst in einem Wagen saß? In Wirklichkeit rasten sie wie der Teufel! Allerdings bekam man das erst dann mit, wenn man neben ihnen ging.
Angst kroch in Annas Nacken. Wenn es das nächste Mal nicht Spritzwasser war, sondern eine Stoßstange? Wie mochte es sich anfühlen, angefahren zu werden? Kam man dann noch dazu, irgendwas zu denken?
Sie schielte über die Leitplanke, in den Ohren wieder den Ratschlag gestandener Fahrer, sich nur ja dahinter zu halten, wenn man sich neben einer Autobahn bewegte. Im Sommer war das kein Problem, doch jetzt? Außer schmutzigem Schnee konnte sie nicht viel erkennen. Das Weiß verlor sich in der Dunkelheit. Ob dahinter ein Abgrund war oder lediglich ein Feld? Sie hätte eine Taschenlampe gebraucht, um das herauszufinden, aber die hatte sie nicht.
Es wäre vielleicht doch besser, hinter die Planke zu gehen …
Wie willst du das anstellen?, fragte eine kleine Stimme in ihrem Hinterkopf. Und dann noch mit dem Trolley. Wenn du nicht gleich abrutschst, wird dich der Koffer mit nach unten ziehen. Dann halt lieber den einen Kilometer Angst aus.
Erneut zog ein Lastwagen an ihr vorbei. Diesmal war der Wasserschwall, der sie duschte, noch größer. Anna versuchte, sich wegzuducken, aber die Tropfen waren schneller. Sie trafen ihre Wange, ihr Haar, praktisch die gesamte linke Körperhälfte.
Die Wut in ihrem Magen ballte sich zu einem großen Klumpen zusammen, wurde zu einem Untier, das herzhaft zubiss. Wieder kamen ihr die Tränen. Doch niemand sah sie, und niemand konnte ihr helfen.
Verdammt, konnten die Fahrer nicht ein bisschen rücksichtsvoller sein? Sahen sie denn nicht, dass hier jemand lief? Wahrscheinlich nicht.
Nach weiteren Schmutzwassergüssen und Schrecksekunden erreichte Anna schließlich die Einfahrt zur Raststätte. Der hellerleuchtete Würfel ließ die verschneiten Bäume ringsherum wie die aus ihrem Traum wirken. Nur dass dies hier kein friedlicher Weg zwischen zwei Weidezäunen war. Wenn sie es bis zur Tür schaffte, würde immerhin die Klinke nicht so hoch angebracht sein, dass sie sie nicht erreichen konnte. Auch würde die Raststätte
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