Eine wundersame Weihnachtsreise: Roman (German Edition)
Unter lautem Johlen begann er sich auf dem Boden zu drehen, dass jeder Breakdancer blass geworden wäre. Vor Angst.
Da war es mit Anna vorbei gewesen. Sie hatte angefangen zu lachen und sich nicht mehr eingekriegt. Wenn schon nicht das schönste, so war es immerhin das lustigste Weihnachtsfest gewesen, das sie je erlebt hatte.
Auch jetzt noch zauberte die Erinnerung daran ein breites Lächeln auf ihr Gesicht. Was Peter jetzt wohl machte? Ein halbes Jahr nach dem Weihnachtsvorfall hatten sie sich wieder getrennt. Nicht wegen der Darbietung des Vaters, sondern weil die Familie in eine andere Stadt gezogen war. Zwar hatten sie sich versprochen, weiterhin in Kontakt zu bleiben, doch letztlich war die Entfernung ihrer Beziehung nicht bekommen.
Und seitdem? Hatte sie noch einen weiteren Freund gehabt, in der Oberstufe, doch der hatte nicht mal Weihnachten mit ihr gefeiert, weil er sich schon vorher als Idiot entpuppt hatte. Seit der zwölften Klasse war eigentlich Sense mit ihrem Liebesleben. Vermisste sie das wirklich nicht? Anna wusste es nicht so genau.
Der Kofferraum wurde geöffnet und etwas raschelte. Als sich Anna erschrocken umwandte, erkannte sie, dass es nur Marko war, der seine Geschenke einlud. Dann stieg er ein und startete den Motor. »Na, alles okay?«
»Klar doch.«
»Gut, dann dauert’s nicht mehr lange bis Berlin. Sag mir nachher einfach, wo ich dich rauslassen soll, okay?«
Anna nickte.
Kaum war Marko losgefahren, verkündete die samtweiche Moderatorin der Spätsendung: »Und nun ein Hit zum Träumen, für alle, die sich bereits auf das Weihnachtsfest freuen.«
Bevor diese Ansage einen weiteren bitteren Lacher bei Anna hervorrufen konnte, ertönten Glockengebimmel und ein Synthesizer.
OH NEIN ! Anna hielt sich schnell die Hand vor den Mund, als George Michael mit seiner Klage begann.
»Last Christmas, I gave you my heart …«
Verdammt noch mal, was soll das?, fragte Annas innere Stimme empört. Warum schon wieder dieses bescheuerte Lied?
»Ist wirklich alles in Ordnung mit dir?«, fragte Marko nun wieder. Offenbar lagen seine Argusaugen seit Fahrtantritt ständig auf ihr. »Ist dir vielleicht schlecht? Soll ich irgendwo ranfahren?«
Ja, schlecht war ihr in gewisser Weise, allerdings nicht körperlich. Ihre Seele reagierte lediglich auf dieses Lied, das sie wie ein Fluch zu verfolgen schien. War das die Rache von Weihnachten? Die Strafe für den Grinch?
Irgendwann war es dann vorbei und die Weihnachtsklage wurde von anderer Musik abgelöst. Annas Anspannung ließ ein wenig nach.
»Wo in Berlin wohnt denn deine Familie?«, fragte sie, während sie überlegte, an welcher S-Bahn-Station er sie am besten rauslassen sollte. Sich von ihm direkt vor die Haustür fahren zu lassen kam nicht in Frage, das würde den Anschein erwecken, dass sie einen Freund hatte. Wenn sie dann erklärte, dass es nur jemand war, der sie von einer Tankstelle aufgelesen hatte, würde ihre Mutter ihr besorgt vorhalten, dass das gefährlich sei. Und Gerd würde die Frage in den Raum werfen, warum sie denn keinen Freund hatte – immerhin sei sie alt genug und ihre Mutter hätte in ihrem Alter schon Kinder gehabt.
»Hellersdorf«, antwortete er. »Nicht gerade die Szenegegend, aber am Sonntag und über die Feiertage ist es schön ruhig. Und du? Bist du ein Girl vom Prenzlauer Berg?«
»Ich stamme ursprünglich aus Charlottenburg«, antwortete Anna.
»Oh, die noble Gegend.«
»Wie man’s nimmt. Meine Mutter ist vor einiger Zeit mit ihrem neuen Mann und meinem Bruder nach Zehlendorf gezogen.« Beinahe wäre ihr rausgerutscht, dass sie deshalb nicht mal die aktuelle Telefonnummer draufhatte.
»Ich fahr dich trotzdem hin.«
Da Anna ihm nicht groß und breit erklären wollte, warum er sie nicht bis nach Hause fahren sollte, nickte sie nur und nahm sich vor, ihn zu bitten, sie an der U-Bahn-Station Krumme Lanke rauszulassen. Von dort waren es nur noch ein paar Meter, und die konnte sie zu Fuß hinter sich bringen. Hätte sie ohnehin tun müssen, wenn ihre Reise wie geplant verlaufen wäre.
Anna wandte sich um und versuchte nun, an das vordere Fach des Trolleys zu kommen, der auf dem Rücksitz lag. Vielleicht konnte sie sich ein wenig mit dem Blättern in ihrem Märchenbuch ablenken – immerhin waren sie jetzt erst an der Auffahrt Ludwigslust vorbei. Dabei zerrte sie ein wenig zu fest an ihrem Koffer, worauf der Seesack, an den er gelehnt war, ins Rutschen geriet.
Anna schnappte erschrocken nach Luft, als aus dem
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