Eine wundersame Weihnachtsreise: Roman (German Edition)
Gerade rückten die Zeiger auf 14 : 52 Uhr. Jetzt glaubte sie endgültig, in einem schlechten Film zu sein. Gleichzeitig verfluchte sie sich, dass sie keine Armbanduhr trug und sich auch bei der Uhrzeit stets auf ihr Handy verließ. »Wie kann die Bahnhofsuhr falsch gehen?«, ereiferte sie sich. »Die Leute verlassen sich doch da drauf!«
»Na ja, die meisten haben Armbanduhren oder schauen auf ihr Handy. Außerdem steht am Fahrkartenautomat auch die richtige Zeit.«
»Aber der Automat ist kaputt!« Annas Stimme überschlug sich. Gleichzeitig schossen Tränen in ihre Augen. Aber noch war sie zu sauer, um loszuheulen. »Der blöde Touchscreen geht nicht!«
Der Schaffner presste die Lippen zusammen. »Tut mir leid, ich fürchte, ich kann Ihnen nicht helfen. Hatten Sie denn ein Ticket mit Zugbindung?«
Anna war, als würde sie jeden Augenblick in Ohnmacht fallen. »Nein. Keine Ahnung.«
»Das gibt es bei Regios auch eigentlich nicht. Sie können also den nächsten Zug nehmen, in drei Stunden fährt wieder einer.«
Drei Stunden! Sie sollte also drei Stunden in dem Bahnhof mit dem kaputten Automaten und der Bahnhofsuhr, die nachging, ausharren?
»Und jetzt entschuldigen Sie mich bitte, der nächste Zug kommt gleich.« Bevor sie noch etwas dazu sagen konnte, marschierte der Bahnangestellte an ihr vorbei.
Anna ließ sich auf ihren Trolley sinken.
»Scheiße«, jammerte sie vor sich hin. »Scheiße, Scheiße, Scheiße!«
Nachdem sie sich von ihrem Sprint einigermaßen erholt hatte, blickte sie auf die Wasserlache, die sie auf den Boden getropft hatte. Dann brach sie in Tränen aus.
19. KAPITEL
E inige Minuten lang weinte sie über die Ungerechtigkeit dieses verkorksten Tages, dabei spürte sie, dass die Wut aus ihrem Innern langsam wich. Außerdem war ihr kalt, und sie musste sehen, dass sie in den Bahnhof kam, wenn sie über Weihnachten nicht mit einer tüchtigen Erkältung im Bett liegen wollte.
Nachdem die letzten Schluchzer abgeebbt waren, erhob sie sich, wischte sich übers Gesicht und griff nach ihrem Koffer. Es würde nicht der letzte Zug gewesen sein, der nach Berlin fuhr. Und was waren schon drei Stunden Wartezeit. Beim nächsten Mal würde sie sich gleich am Gleis postieren und sich nicht auf die blöde Uhr im Bahnhof verlassen. Und in der Zwischenzeit hatte sie Gelegenheit, sich wieder in Ordnung zu bringen, im Klo andere Kleider anzuziehen und dann ordentlich auf den nächsten Zug zu warten.
Von neuem Mut erfüllt stapfte sie zurück zu Gleis eins, wo sich bereits Leute eingefunden hatten, um auf den demnächst einfahrenden Zug zu warten. Sie bedachten sie mit seltsamen Blicken, eben wie eine Landstreicherin, aber Anna machte sich nichts daraus. Ich werde es schaffen, sagte sie sich. Ich werde da sein und mit Jonathan Weihnachten feiern. Das zauberte sogar ein Lächeln auf ihr Gesicht, was sie für die anderen Leute sicher frech wirken ließ.
Anna kehrte zu der Toilette zurück, in der das Wasser immer noch plätscherte. Sie entschied sich, in der Herrentoilette zu verschwinden, um nicht noch einen Guss abzubekommen. Für alle Fälle schloss sie sich in der Kabine ein. Dort begann sie, sich aus ihren schmutzigen Sachen zu schälen. Dabei kam ihr in den Sinn, dass sie vor der Bescherung wohl auch kaum mehr Gelegenheit haben würde, die Kleider zu wechseln. Also war es sinnvoll, sich jetzt umzuziehen. Sie tauschte ihren Pullover und die schmutzige Jeans gegen eine dunkle Stoffhose und eine Bluse und besah sich dann ihre Jacke. Dieser hatte der Wasserguss gutgetan, sie war zwar noch etwas klamm, aber die Kaffeeflecken waren von der Chemiefaser heruntergewaschen. Wenn sie sich noch ein wenig im Bahnhof aufhielt, würde sie trocknen, und dann würde man ihr die Reise zwar noch ansehen, aber sie würde nicht mehr wie eine Pennerin daherkommen.
Für ihr Haar konnte sie freilich nicht viel tun, denn es gab weit und breit keinen Föhn. Sie band es also zu einem Knoten zusammen und wischte dann noch mit Klopapier ihre Schuhspitzen ab. Wie sie jetzt aussah, wusste sie zwar nicht, aber der Spiegel im Vorraum würde es ihr verraten. Auf jeden Fall hatte sie ein etwas besseres Gefühl, auch wenn sie dringend eine Dusche brauchte.
Als sie die Kabine verließ, trat gerade ein Mann in einem dunklen Anorak ein. Er starrte sie an, war aber über ihre Anwesenheit viel zu erschrocken, als dass er etwas hätte sagen können. Anna lächelte ihn an, dann warf sie im Vorbeigehen noch einen prüfenden Blick in den
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