Eine wundersame Weihnachtsreise: Roman (German Edition)
nicht in Angst und Schrecken versetzen.«
»Hatte ich eigentlich auch nicht vor, aber Sie können mir glauben, manchmal verschwören sich alle Elemente gegen einen.«
Mit dieser Antwort schien er nicht viel anfangen zu können, denn es entstand für ein paar Augenblicke Funkstille. War die Leitung unterbrochen worden? Bei ihrem Glück war alles möglich.
Doch der Beamte meldete sich wieder. »Na, wie dem auch sei, ich bin froh, dass wir die Sache abschließen können. Warten Sie, ich sage Ihnen die Nummer durch.«
Hatte er tatsächlich über ihre Bemerkung mit den Elementen nachgedacht oder nur nach dem Zettel mit der Telefonnummer gesucht?
Da sie auf die Schnelle keinen Stift fand, klaubte Anna kurzerhand ihren Kajal aus der obersten Tasche des Trolleys und schrieb damit auf eine Serviette. Die Nummer kam ihr unbekannt vor, aber wenn der Beamte es sagte, stimmte sie wohl. Anna sollte wirklich öfter anrufen …
Nachdem sie dem Beamten frohe Weihnachten gewünscht hatte, legte sie auf, um gleich danach die Nummer ihrer Mutter zu wählen.
Ihr Magen ziepte, und ihr Herz pochte jetzt fast ebenso stark wie vorhin. Nur dass sie sich jetzt ein wenig vor der Standpauke ihrer Mutter fürchtete. Was würde sie sagen? Würde sie meckern oder weinen? Und wie sollte sie ihr bloß erklären, dass sie nicht drangegangen war? Gut, das hätte wahrscheinlich nichts an der Situation geändert, in die sie geraten war, aber ein wenig schämte sie sich nun, dass sie erleichtert gewesen war, den Anruf ihrer Mutter verpasst zu haben.
Mit jedem Klingeln, das durch den Äther tönte, wappnete sie sich gegen die Stimme, die sich gleich melden würde. Am meisten Angst hatte sie davor, dass Gerd rangehen würde. Gerd, der nicht glauben würde, was sie erlebt hatte. Der ihr sicher vorwerfen würde, dass sie sich das alles nur ausgedacht hatte, um nur nicht bei ihnen zu feiern. Das würde schließlich in einen Streit münden, in dem Anna wütend den Hörer aufknallte und dann vielleicht doch nach Leipzig zurückfuhr.
Aber halt, nein, ich habe es Jonathan versprochen, sagte sie sich. Ich werde ihn nicht enttäuschen, egal, was Gerd sagt.
Als nach dem dreizehnten Klingeln aber immer noch niemand ranging, sank Anna der Mut, und sie legte auf. Keiner da. Waren sie auf der Suche nach ihr? Waren sie vielleicht sogar nach Leipzig gefahren, um nachzusehen?
»Na, alles erledigt?«, fragte die Frau, während sie vorsichtig durch den Türrahmen lugte, als erwarte sie ein Monster. Oder eine völlig in Tränen aufgelöste junge Frau.
»Ja, alles okay«, gab Anna zurück, etwas erleichterter, aber dennoch besorgt.
»Ich hoffe, es war nichts Schlimmes.«
Anna schüttelte den Kopf. Auch wenn es die Frau nichts anging, dafür, dass sie ihr geholfen hatte, hatte sie auch ein bisschen Erleichterung verdient.
»Nein, es ist alles in Ordnung, ich wurde nur vermisst, aber das hat sich jetzt aufgeklärt.«
Damit schien die Frau zufrieden zu sein. »Möchten Sie vielleicht auf den Schrecken noch einen Kaffee?«, fragte sie geschäftsmäßig, was Anna schon ablehnen wollte, doch da setzte die Frau hinzu: »Geht aufs Haus, weil Weihnachten ist.«
20. KAPITEL
E in paar Minuten später saß Anna mit ihrem neuen Kaffeebecher und einem Schokoladenkeks von der Verkäuferin auf einem kleinen Hocker nahe dem Zeitungsregal.
Die wenigen Leute, die noch kamen, warfen ihr einen erstaunten Blick zu, doch sie zogen schließlich mit Zeitung, Kaffee oder einem von den labberigen Brötchen wieder ab. Ein kleiner Hund, der vor der Scheibe geparkt wurde, blickte sie mit schräggelegtem Kopf an, wahrscheinlich war er scharf auf den Keks. Doch der landete bis auf den letzten Krümel in Annas Magen, und als hätte sie damit auch gleich einen Zauber verschluckt, ging es ihr viel besser.
Da jetzt noch zwei Stunden bis zur Abfahrt des nächsten Zuges blieben, beschloss sie, die Gutmütigkeit der Verkäuferin nicht weiter zu strapazieren, indem sie fragte, ob sie das Telefon noch mal benutzen durfte. Stattdessen beschloss sie, ein wenig in die Stadt zu gehen und dort nach einer Telefonzelle zu suchen. Das Schloss würde jetzt gewiss nicht mehr aufhaben, aber vielleicht hatte Ludwigslust noch andere gute Seiten.
Nachdem sie den Kaffee ausgetrunken und den Becher in den Mülleimer entsorgt hatte, wünschte sie der Verkäuferin frohe Weihnachten und verließ den kleinen Laden.
Sie warf der Bahnhofsuhr, der sie den verpassten Zug zu verdanken hatte, einen bösen Blick zu, dann
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