Eine wundersame Weihnachtsreise: Roman (German Edition)
Überall rannten Leute mit verkniffenen Mienen herum, stritten sich vor den Warenauslagen des Kaufhauses, packten Dinge in ihre Einkaufskörbe, die sie selbst sicher nicht geschenkt haben wollten. Oh, du schöne Weihnachtszeit!
Mit einer Mischung aus Verzweiflung und Lustlosigkeit schlenderte Anna zwischen den Regalen umher. Dabei tönte ihr in den Ohren, was Frau Hallmann gesagt hatte. Nippes, Bilder, Strickjacken …
Als sie eine Familie beobachtete, die sich eine wirklich hässliche Kuckucksuhr einpacken ließ, fragte sie sich, ob der Beschenkte ebenso wie Frau Hallmann eine gute Miene zu dem Geschenk machen würde.
All diese Leute gaben vor, ihre Familie gut zu kennen, sie trafen sich regelmäßig zu Grillabenden und anderen Festivitäten, doch offenbar schienen sie dennoch nicht zu wissen, was ihre Liebsten wollten. Oder war es gerade das, und Anna konnte sich nur nicht vorstellen, dass jemand sich eine Porzellanfigur oder eine Kuckucksuhr wünschte?
Auch wenn der Kontakt zu ihrer Mutter in den letzten beiden Jahren nicht besonders ausgeprägt gewesen war, wusste Anna doch, dass sie sich über so etwas nicht freuen würde.
In der Parfümabteilung angekommen, erinnerte sie sich wieder an die Seife, die sie ihrer Mutter als Kind geschenkt hatte. Welchen Duft mochte sie noch am liebsten? Rose? Lavendel? Ein wenig beschämt stellte sie fest, dass sie sich bei den Duft-Vorlieben ihrer Mutter nicht mehr sicher war. Zu ihrem Geburtstag schenkte sie ihr Blumen, aber sie konnte nicht sagen, welches Parfüm sie momentan bevorzugte. Damit war dieser Gang auch wieder umsonst!
Glücklicherweise konnte sie aus der Parfümabteilung entkommen, bevor eine der Verkäuferinnen ihre Ratlosigkeit bemerkte und heraneilte, um sie zu beraten. Die Frauen in den mintfarbenen Blazern hatten alle Hände voll zu tun, Parfüms, die ihnen von etwas genervt dreinblickenden Männern gereicht wurden, geschmackvoll zu verpacken.
Im Buchladen außerhalb des Kaufhauses fiel Anna die Auswahl schon viel leichter. Sie fand fast auf Anhieb ein schönes Märchenbuch für Jonathan und beschloss, für ihre Mutter einen Krimi und für Gerd ein Heimwerkerbuch zu kaufen. Ob er das mochte oder nicht, war ihr egal, und bei ihrer Mutter würde es so sein wie bei Frau Hallmann. Wenn ihr das Buch nicht gefiel, würde sie gewiss nichts sagen. Anna ertappte sich aber dabei, dass sie für ihr Geschenk kein Heucheln einheimsen wollte. Nein, sie wollte, dass es ihrer Mutter wirklich gefiel.
So ließ sie sich bei der Auswahl viel Zeit, nahm Bücher in die Hand, wog sie, strich über die Einbände und schlug sie dann auf. Sie ignorierte, dass Hände an ihr vorbeilangten, um ein Buch von einem der Tische zu reißen, dass Leute hinter ihr ungeduldig schnauften oder sie sogar anrempelten, weil sie auf dem Weg zur Kasse blind für alles um sie herum waren.
Einigermaßen zufrieden mit ihrer Wahl reihte sie sich schließlich in die Schlange, die die Verkäuferinnen so fix wie möglich abzuarbeiten versuchten – nicht, ohne die eine oder andere Beschwerde oder einen mürrischen Kommentar zu ernten. Warum sind die Leute eigentlich so, fragte Anna sich dabei. Eigentlich sollte der Winter doch die Zeit der Besinnung sein.
Die Antwort war simpel. Wahrscheinlich hassen sie Weihnachten genauso wie ich, dachte Anna. Da sie sich aber nicht trauen, zuzugeben, dass ihnen die Weihnachtsstimmung auf den Geist geht, lassen sie ihre Wut an den Verkäuferinnen und anderen Mitmenschen aus und hoffen, dass die Tage schnell vorübergehen.
Immerhin konnte sie, nachdem sie ihre Bücher bezahlt und den Einpackservice abgelehnt hatte, dem Weihnachtsstress entfliehen.
Beim Laden um die Ecke in ihrem Wohngebiet erstand sie schließlich noch die Cognacbohnen für Frau Hallmann, dann konnte sie sich endlich wieder in ihre Wohnung zurückziehen.
Zu Hause angekommen machte Anna sich einen Kaffee, holte ein paar Vanillewaffeln aus ihrem Vorratsschrank und hantierte dann fast eine halbe Stunde mit dem Geschenkpapier herum.
Als sie schließlich fertig war, stellte sie fest, dass sie irgendwie kein Talent zum Schenken hatte. Während andere wunderbare Kreationen aus Papier und Schleifenband zauberten, sahen ihre Geschenke bestenfalls mittelmäßig aus. Seit ihrer Kindheit und frühen Jugend hatten sich ihre Fähigkeiten in dieser Hinsicht nicht verbessert.
Aber was soll’s, sagte sie sich schließlich. Gerd wird mir sowieso nur in den Ohren liegen, dass ich was Ordentliches studieren
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