Eine wundersame Weihnachtsreise: Roman (German Edition)
sollte, und Mama wird irgendwann in dieselbe Kerbe hauen. Nur Jonathan wird es egal sein, wie das Geschenk verpackt ist, denn er denkt zum Glück noch nicht wie ein Erwachsener. Er wird sich über das Buch freuen.
Als sie fertig war, legte sie sich auf ihr Bett und starrte an die Decke. Zweifel schlichen sich an. Vielleicht hätte ich doch absagen sollen. Irgendwas zwickte in ihrem Magen, sie konnte nur nicht genau sagen, was ihr dieses Unwohlsein bescherte. Aber Jonathan konnte und wollte sie nicht enttäuschen. Nicht ihn.
4. KAPITEL
S eufzend blickte Anna auf ihren Rollkoffer. Seine Reisen sah man ihm mittlerweile deutlich an. Doch obwohl er schon einige Male geflickt worden war, dachte Anna nicht daran, ihn auszutauschen, denn jeder Schaden, den er genommen hatte, war die Erinnerung an eine Reise.
Den kleinen Standfuß rechts hatte ihm ein Laufband auf dem Leipziger Flughafen abgebrochen. Die abgerissene Reißverschlussöse, die durch ein farbenfrohes Band ersetzt worden war, erinnerte an Teneriffa vor zwei Jahren. Und in Antalya war der Koffer an der Seite ein wenig aufgeplatzt, was sie mit groben Stichen notdürftig behoben hatte.
Früher oder später würde ein neuer Trolley fällig sein, aber diesen Zeitpunkt zögerte Anna immer wieder hinaus, denn sie hatte das Gefühl, einen alten Freund zu verraten, wenn sie ihn der Müllpresse überließ.
Als die Straßenbahn heranrollte, atmete sie tief durch, ergriff den Koffer und stieg ein, sobald sich die Türen mit einem leisen Zischen geöffnet hatten.
Die Bahn war wieder einmal voll. Anna konnte sich nicht erinnern, sie in letzter Zeit anders erlebt zu haben. Menschen mit leeren Augen schleppten volle Tüten, ihre Gedanken schienen sich in selbstauferlegten Pflichten zu verlieren.
Sie stellte sich an die Seite neben der Tür und ließ dann den Blick über die sie umgebenden Gesichter streifen. Natürlich waren es dieselben verkniffenen Mienen wie immer. Lediglich ein kleines Mädchen an der Hand einer ziemlich mürrisch dreinblickenden Frau lächelte sie an. Für einen Moment sah Anna sich selbst in ihr. Ja, damals war Weihnachten noch toll gewesen. Doch hatte ihre Mutter je so ausgesehen? Oder hatte Anna das nur nicht bemerkt, weil ihre Gedanken sich um die heiß ersehnten Playmobil-Indianer und den Cowboy-Saloon gedreht hatten?
Die elektronische Haltestellendurchsage riss sie aus ihren Gedanken. Die Türen öffneten sich, und schon war sie wieder mittendrin in der Hektik.
Noch immer dudelte die Weihnachtsmusik durch die Straßen, noch immer schwebte Bratwurstduft über der Menge, doch irgendwie war Anna heute etwas geduldiger, was möglicherweise dem Umstand geschuldet war, dass vor dem Eintreffen in Berlin auch noch ein Besuch bei Paula und eine lange Zugfahrt anstanden.
Im Haus von Frau Hallmann roch Anna beim Eintreten Zimtduft. Jemand hatte offenbar eine Duftkerze entzündet. Oder vielleicht Zimtschnecken gebacken? Jedenfalls hatte Weihnachten auch diese Insel erreicht und würde sie in den kommenden Tagen vollkommen verwandeln.
»Kindchen, du bist gekommen!«, sagte Frau Hallmann überglücklich, als sie ihr die Tür öffnete. Hatte sie daran gezweifelt?
»Ja, das hatte ich doch versprochen. Außerdem wollte ich Sie nicht ohne Ihre Cognacbohnen auf Reisen schicken. Sie brauchen ja schließlich ein bisschen Proviant.«
Anna zog das Päckchen, das ebenfalls alles andere als profimäßig verpackt war, aus ihrer Umhängetasche.
»Vielen Dank, dann brauche ich unterwegs nicht zu verhungern.«
Die alte Frau umarmte sie und machte ihr dann Platz, damit sie eintreten konnte.
Im Flur stolperte Anna beinahe über vier große Koffer, die den Korridor bis auf einen schmalen Spalt versperrten.
»Du meine Güte, Frau Hallmann, wie wollen Sie die alle tragen?«, fragte sie erschrocken, während sie sich an der Gepäcksammlung vorbeidrängte.
Die Rentnerin, die schon ihren guten Spazierstock mit dem silbernen Knauf bereitgestellt hatte, lachte. »Ich schlüpfe einfach in mein Superheldenkostüm! Und wenn das nicht klappt, frage ich jemanden. Einer netten alten Dame helfen doch alle gern, nicht wahr?«
Anna konnte für sich sagen, dass das stimmte, doch würden das die anderen Leute auch so sehen? Wenn sie sich die Bilder des Kaufhausbesuches ins Gedächtnis rief, zweifelte sie stark daran.
»Nein, nein, ich habe ein Taxi bestellt und den Fahrer gebeten, mir am Bahnhof alle Gepäckstücke auf einen Kofferkuli zu laden. Aber ich will dich nicht lange
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