Eine zweite Chance für den ersten Eindruck (German Edition)
„Flowers for Algernon?“, fragt er, bevor ich seine Frage beantworten kann. „Das hatte ich als Schullektüre in der Highschool. Gutes Buch, aber warum liest du es auf Englisch?“
„Ich arbeite den ganzen Tag nur mit kleinen Kindern, was auch toll ist und mir Spaß macht. Aber manchmal braucht mein Kopf ein bisschen mehr Futter, als Fingerspiele, Laternen basteln und verrotzte Nasen abwischen“, antworte ich mit einem Schulterzucken. Ich versuche, mich nicht zu sehr davon ablenken zu lassen, dass Eric sich gerade den Zuckerguss aus dem Mundwinkel leckt.
„Und was gab es heute für gute Nachrichten bei dir?“, fragt Eric überraschend.
„Was meinst du? Welche guten Nachrichten?“
„Du glühst förmlich, irgendetwas muss doch heute passiert sein.“
Er ist wirklich ein sehr guter Beobachter.
„Ja, es gibt gute Nachrichten. Die wirst du morgen selbst erfahren. Allerdings weiß ich nicht, ob es dann noch gute Nachrichten sind.“ Bei dem Gedanken sinkt meine Stimmung gleich wieder.
„Du machst mich wirklich neugierig. Kannst du es mir erzählen, oder ist es so geheim?“
„Nein, eigentlich kann ich es dir erzählen. Du weißt es sowieso schon. Mein Bruder wird seinen Lebensgefährten heiraten. Und er wird morgen das ganze Team zur Hochzeitsfeier einladen, was demzufolge sein Coming-out bedeutet.“
Eric nickt und kaut nachdenklich auf seinem dritten Muffin.
„Machst du dir Sorgen?“, fragt er, als er den Rest auch noch verdrückt hat.
„Auf jeden Fall. Ich weiß ja nicht, wie diese ganzen Testosteronbolzen darauf reagieren werden.“
Eric grinst mich an. „Ich bin also ein Testosteronbolzen?“
„Definitiv“, antworte ich spontan. „Aber ich schätze dich nicht so homophob ein, wie die restliche Meute.“
„Bin ich nicht. Ist mir völlig egal, was andere Leute in ihrem Schlafzimmer machen. Hauptsache glücklich und nicht illegal.“
Erics Blick wandert schon wieder zur Kuchentheke.
„Du hast aber nur ein sehr eingeschränktes Sättigungsgefühl, oder?“, frage ich.
Er sieht mich vielsagend an. „Wir wollten es doch als Freunde versuchen, oder?“, fragt er.
„Ja, wieso?“
„Weil ich dir aus diesem Grund auf deine Frage nicht so antworten kann, wie ich es gerade gerne würde.“
Nur für einen kurzen Moment sehe ich es aufblitzen, doch dann fährt er sein flirten tatsächlich gleich wieder zurück. Er meint das ernst mit der Freundschaftsschiene. Schon jetzt frage ich mich, ob ich eventuell die Erste bin, die einknickt.
Wir sitzen noch bis Ladenschluss um Mitternacht im Coffeeshop und unterhalten uns über Gott und das Leben. Eric ist ein sehr angenehmer Gesprächspartner und bei Weitem nicht so einseitig, wie ich es mir selbst durch meine Vorurteile eingebläut habe. Er erzählt mir, dass er nächstes Jahr neben dem Sport ein Jurastudium beginnen wird, weil er auch nicht jünger wird und diesen Sport professionell nicht ewig betreiben kann. Eine sehr vernünftige Entscheidung, wenn es auch zusammen mit Lucy sehr stressig werden wird. Mein Bruder studiert schon eine Weile neben dem Sport und ich weiß, dass er zu Prüfungszeiten richtig ins Schwitzen kommt.
Die Besitzerin des Coffeeshops befördert uns freundlich, aber bestimmt auf die Straße und Eric begleitet mich nach Hause. Vor meiner Haustür steht er mit den Händen in den Taschen und scheint auf etwas zu warten.
„Ich würde dich ja noch rein bitten, aber ich halte das im Moment für keine so gute Idee.“
Eric sieht verwundert zu mir auf. „Das würde ich nicht erwarten. Nur Freunde, ich hab es dir versprochen. Außerdem will Lucy morgen früh um spätestens sieben Uhr ihr Frühstück. Sie kann da sehr eindringlich sein. Deswegen sollte ich auch langsam ins Bett.“
„Ich habe das sehr genossen, diesen Abend. Können wir das wiederholen?“, frage ich.
Eric strahlt mich an. „Natürlich können wir das wiederholen. Ich bereue es, dass wir diese Sache nicht direkt so begonnen haben. Und dass ich nicht ehrlich zu dir war. Nina, darf ich dich umarmen?“
Er tritt unsicher von einem Fuß auf den anderen und wartet auf eine Antwort. Stattdessen drücke ich ihn kurz an mich und inhaliere seinen Duft. Er riecht so verdammt gut und ich habe so verdammt wenig Selbstbeherrschung, wenn es um ihn geht.
„Ich bereue es, dass ich dich geschlagen habe. Das hätte ich nicht tun dürfen. Gute Nacht, Eric.“
Ohne eine Reaktion abzuwarten, gehe ich durch die bereits aufgeschlossene Haustür und lasse ihn
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