Eine zweite Chance für den ersten Eindruck (German Edition)
fragt er Thorsten. Der lächelt und nickt.
„Dein Bruder und ich, wir werden heiraten.“
David explodiert förmlich vor positiver Energie. Ich sehe ungläubig zu Thorsten, doch der trägt einen ähnlichen Gesichtsausdruck wie sein Partner.
„Ihr wollt was?“
Zeitgleich fällt bei beiden die glückliche Miene und sie sehen enttäuscht aus. „Wir dachten, du würdest dich freuen“, sagt Thorsten zaghaft.
„Ja. Ja! Ich freue mich!“ Ich drücke beide fest an mich. „Ich bin nur überrascht. Da habe ich wirklich nicht mit gerechnet. Wann ist denn das passiert?“
Die beiden sehen sich vielsagend an und grinsen verschlagen. Ich hebe abwehrend die Hände. „Schon gut, schon gut. Die Details von diesem Antrag brauche ich nicht. Ich will es mir nicht vorstellen.“ Ich drücke den beiden je einen Kuss auf die Wange und nehme ihre Hände auf meinen Schoß.
„Nina, es gibt noch etwas.“ Mein Bruder spielt nervös mit meinen Fingern.
„Was denn? Soll ich eure Brautjungfer werden?“
Thorsten lacht. „Ja, das sowieso. Aber das meine ich nicht. Wir wollten es dir heute sagen, weil ich morgen im Team eine Einladung an alle zu unserer Hochzeit aussprechen werde.“
Mein Bruder bricht mir fast die Finger, und David fängt neben mir an, zu weinen.
„Wirklich?“ Ich bin völlig sprachlos. Das ist ein riesiger Schritt für ihn, aber so notwendig für David, der schon lange offen seine Sexualität lebt.
„Wirklich. Ich kann das nicht mehr verheimlichen. Wenn es Konsequenzen hat und es Gerede gibt, dann werde ich mich dem stellen. David war schon zu lange geduldig, er hat es einfach verdient. Letztendlich muss ich es auch für mich tun. Ich kann diese Fassade nicht mehr aufrechterhalten.“
Ich drücke meinen Bruder feste an mich und spüre, wie David uns beide umarmt.
„Ich bin so stolz auf dich, großer Bruder. Und ich stehe immer hinter dir. Hinter euch. Das wisst ihr hoffentlich. Ich hab euch lieb.“
Thorsten und David haben eine Trauung mit einem freien Priester geplant. Am 23. Dezember, dem Hochzeitstag unserer Eltern. Sie haben auf ihrem Weg von Paris nach Hause ein Schloss mit eingebundener Kapelle gefunden, in das sie sich verliebt haben. Dort kann geheiratet und im Anschluss gefeiert werden.
Nach dem Essen gehen wir gemeinsam in euphorischer Stimmung nach Hause. Mir fällt ein riesiger Felsbrocken vom Herzen, dass zwischen meinem Bruder und mir wieder alles gut ist. Doch ich bin auch ein bisschen aufgeregt für ihn. Sein Coming-out könnte sehr gut, aber auch verdammt schief laufen.
Eric verspricht mir, pünktlich um 21.00 Uhr im Coffeeshop zu sein. Doch ich bin so aufgeregt von den ganzen Ereignissen des Tages und freue mich so darauf, ihn zu sehen, dass ich schon eine Stunde früher da bin und es mir mit einem Cappuccino und einem Buch gemütlich gemacht habe. Ich bin so in meine Lektüre vertieft, dass ich seine Ankunft nicht bemerke. Erst ein gehauchtes „Hey pretty“, ganz nah an meinem Ohr macht mich auf ihn aufmerksam. Er drückt mir einen Kuss auf die Wange und setzt sich neben mich. Ich packe mein Buch beiseite und begutachte ihn von oben bis unten.
„Hallo Eric“, sage ich, während ich sein Depeche Mode Shirt in Augenschein nehme. Er sieht mal wieder zum Anbeißen aus.
„Wie geht es dir heute?“, fragt er.
„Oh, mir geht’s sehr gut.“
„Ich gehe mir schnell einen Kaffee holen. Möchtest du noch etwas?“ Eric sieht mich abwartend an und ich überlege für einen Moment, ob ich ihm sagen sollte, was ich möchte. Ich entscheide mich dagegen, denn das würde die Freundschaftsgeschichte nur unnötig verkomplizieren.
„Nein, danke. Ich bin noch versorgt“, antworte ich und zeige auf meinen halb vollen Cappuccino.
Nach ein paar Minuten kommt er mit einem großen Milchkaffee und drei verschiedenen Muffins zurück.
„Gab es kein Abendessen heute?“, frage ich mit Blick auf seinen Teller.
Er grinst. „Dessert. Ich bin Sportler, ich darf das. Aber du kannst gerne etwas abhaben, wenn du möchtest.“
Ich winke nur ab und halte mich an meinen Cappuccino.
„Ich bin kein Sportler, ich muss meine Kalorien zählen. Wo ist Lucy jetzt eigentlich?“
Eric schluckt hastig den ersten Bissen runter. „Zuhause. In ihrem Bett, wo kleine Mädchen um die Uhrzeit hingehören. Meine Mutter bewacht das Babyfon und ist sofort bei ihr, wenn etwas ist. So machen wir es auch immer, wenn ich abends joggen gehe. Was liest du da?“ Er greift sich mein Buch und betrachtet das Cover.
Weitere Kostenlose Bücher