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Einem Tag in Paris

Einem Tag in Paris

Titel: Einem Tag in Paris Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: E Sussman
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sagt Nico.
    Ein Bett steht in der Mitte der Pont des Arts. Es ist nur ein Bett – ein Gestell und eine Matratze, das auf die metallene Fußgängerbrücke geworfen wurde. Eine nackte Frau räkelt sich auf dem Bett, auf einem rosenfarbenen Laken. Sie ist jung und schön, und die riesige Menge zu beiden Seiten des Flusses scheint in einer Art ehrfurchtsvollem Schweigen gebannt.
    »Jetzt sei kein Spielverderber«, flüstert Josie. Sie werden an der Reling des Boots eng aneinandergedrückt. »Ist das nicht Pascale Duclaux?« Sie zeigt auf eine Frau mit einer wilden roten Mähne, die auf einem Stuhl am Rand des Sets thront. »Sie ist eine sehr ernsthafte Regisseurin. Das könnte durchaus große Kunst sein.«
    »Ein Bett auf einer Brücke? Eine nackte Nymphe?«
    »Und ein Mann«, sagt Josie. »Sieh dir mal den alten Mann an.«
    Ein grauhaariger Mann, ebenfalls nackt, umrundet das Bett, den Blick auf das entzückende Mädchen geheftet. Dana Hurley, die amerikanische Schauspielerin, steht am Rand der Brücke, mit dem Rücken zum Geländer, und sieht ihnen zu. Im Gegensatz zu den beiden anderen ist sie vollständig angezogen. Der Mann scheint sie nicht zu bemerken.
    Dann hält der Mann einen Moment inne, während sein Penis zwischen seinen Beinen baumelt, und er sieht auf, als würde er irgendetwas suchen. Er scheint Josies Blick aufzufangen, und er hält ihm stand, ein halbes Lächeln auf den Lippen.
    Er ist nicht älter als Simon, denkt Josie. Warum stört es mich dann so, dass er dieses Mädchen umschleicht?
    Sie sieht weg, entzieht sich seinem Blick. Als sie wieder hinsieht, nimmt er seinen abscheulichen Gang um das Bett wieder auf, als wollte er das Mädchen einfangen.
    Der Himmel grollt, und im nächsten Augenblick regnet es in Strömen. Dieser Teil des Boots ist nicht überdacht – alle wenden sich ab und eilen zurück, unter die weißen Sonnenschirme oder nach unten, unter Deck. Josie bleibt stehen, beobachtet die Brücke, das Bett, das Mädchen, den Mann.
    »Komm schon«, sagt Nico. »Das ist doch verrückt.«
    »Geh du ruhig«, sagt sie zu ihm. »Ich will das sehen.«
    »Da gibt es nichts zu sehen. Sie werden warten, bis der Regen aufhört.«
    Aber die Regisseurin gibt ein Zeichen, dass die Kameras weiterlaufen sollen.
    Josie hält den Blick auf Dana Hurley geheftet. Dana läuft nicht weg. Sie ist bereits durchnässt, und das Haar klebt ihr am Kopf. Sie geht auf das Bett zu, scheinbar völlig unbekümmert. Sie wird ihren Mann nicht an ein junges Mädchen verlieren. Sie wird niemanden an den Krebs oder einen Flugzeugabsturz verlieren. Wenn irgendetwas Schlimmes passiert, wird die Regisseurin »Schnitt!« rufen, und Dana wird zurück zu ihrem Zelt schlendern, wo eine beflissene Assistentin ihr ein Handtuch und ein Glas Champagner reichen wird.
    Josie begreift, dass Nico recht hatte: Das hier ist keine große Kunst – das hier hat nichts an sich, was länger als einen Tag überdauern wird. Das Einzige, was überdauert, ist die Liebe, selbst wenn sie nicht mehr da ist.
    »Bitte«, sagt Nico. »Komm mit nach drinnen.«
    Sie wendet sich zu ihm um. Er ist der freundlichste Mann, dem sie je begegnet ist. Für einen Moment fühlt sie sich befreit von der Trauer. Selbst der Klang seiner Stimme bietet so etwas wie Hoffnung. Und doch kann sie nicht mit ihm in die Provence fahren. Sie sind dabei, ein Ende für ihren eigenen Film zu schreiben, ein märchenhaftes Ende, und sie glaubt nicht mehr an Märchen.
    »Ich muss zurück zu meinem Hotel«, sagt sie zu ihm.
    »Jetzt?«
    »Ich werde meine Sachen packen«, lügt sie. Es ist so viel leichter, als sich zu verabschieden. »Ich treffe dich um sechs am Bahnhof.«
    Seine Miene hellt sich auf. Ein Donner kracht, und im nächsten Augenblick zuckt ein Blitz über den grauen Himmel, und ganz Paris erstrahlt in seinem Schein.

Riley und Philippe



Sie beschließt in dem Augenblick, als sie aufwacht – während Cole sich an ihren Rücken presst, Gabis winzige Füße in ihrem Gesicht liegen und Vic zu irgendeiner unchristlich frühen Stunde verschwunden ist –, dass sie ihren französischen Privatlehrer irgendwo anders treffen wird, irgendwo, nur nicht in dieser Wohnung. Im Allgemeinen hat sie ihren Unterricht an ihrem Küchentisch. Heute muss sie aus dem Haus kommen. Sie schiebt Gabis Füße – nach Puder duftende Babyfüße – sanft von sich und sieht aus dem Fenster. Regen. Sie hasst Paris. Das ist das Geheimnis, das sie in sich trägt wie irgendetwas Fauliges, Verwesendes.

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