Einem Tag in Paris
Was zum Teufel ist bloß los mit ihr? Jeder liebt diese gottverdammte Stadt.
Riley lebt seit einem Jahr in Paris, lange genug – das sagt zumindest jeder –, um Französisch zu lernen, das métro-Netz zu kennen und zu wissen, wie man sich zu kleiden hat. Sie ist kläglich gescheitert. Und sie sollte Freunde haben, Soufflés backen und voller Energie sein, um mitten in der Nacht Sex mit ihrem Mann zu haben. Nur, dass mitten in der Nacht immer Kinder in ihrem Bett liegen und sie überhaupt keine Energie hat, weder tagsüber noch nachts. Aber sie ist, was ihre Mutter immer ein »zähes Biest« genannt hat, daher erzählt sie niemandem, wie elend sie sich fühlt. Außerdem, wer würde ihr schon glauben? Schließlich lebt sie in Paris.
Folgendes hat sie in einem Jahr in Paris erreicht:
Sie hat ein Baby bekommen – keine geringe Leistung, wo sie doch die Ärzte und Schwestern in der Klinik nicht verstanden hat, die sie Tag und Nacht angeschnauzt haben.
Sie hat fünfunddreißig Pfund zugenommen und fünfundzwanzig Pfund abgenommen und isst immer noch jeden Tag ein pain au chocolat, auch wenn sie das inzwischen nicht mehr auf die Heißhungerattacken ihrer Schwangerschaft schieben kann.
Sie hat gelernt, wo sie auf dem Markt in der Nähe ihrer Wohnung Paella kaufen kann, um sie Vics staunenden Kollegen in einer Schüssel zu servieren.
Sie hat den Kontakt zu den meisten ihrer ehemaligen besten Freundinnen aus New York verloren, da sie ihnen keine E-Mails mehr schicken kann, in denen sie von den Vorzügen des Lebens im Ausland schwärmt.
Sie hat ihre Mutter – jeden Tag – überzeugt, nicht zu Besuch zu kommen. Noch nicht.
Sie hat beobachtet, wie der zweieinhalbjährige Cole Französisch gelernt, auf dem Spielplatz Freunde gefunden und seine eigene Mutter nach Hause geführt hat, wenn sie sich verlaufen hatte. Außerdem sagt er die Worte »Ist schon gut, Mama« so oft, dass sie besorgt ist, wenn sie eines Tages jemanden ermorden sollte, er daraufhin ihre Hand tätscheln und »Ist schon gut, Mama« sagen wird.
Sie hat die Liebe verloren. Als sie hierherkamen, hatte sie sie noch. Aber irgendwann in den ersten Wochen, während sie und Vic das Geschirr und die Bücher und Coles Spielsachen auspackten, musste sie sie verlegt haben, und seitdem hatte sie sie nicht wiedergefunden.
Riley versucht, aus dem Bett zu krabbeln, ohne die Kinder zu wecken, aber sie hängen an ihr wie Kletterpflanzen. Nimmt man den Baumstamm weg, sinken diese Gewächse sofort auf den Waldboden. Schon im nächsten Augenblick stellt Cole ihr Fragen: »Wo ist Daddy?«, »Was machen wir heute?«, »Warum Regen, warum Regen?«, und Gabi weint, ein wimmerndes, herzzerreißendes Weinen, das vermutlich heißt, dass sie wieder einmal eine Ohreninfektion hat.
Riley nimmt Gabi auf den Arm und lässt sich auf dem Sessel nieder, knöpft ihr Pyjamaoberteil auf und legt sich das Baby an die Brust. Durchatmen, sagt sie sich. Stillen ist etwas, was sie gern tut. So gern, dass sie es viel zu oft tut – sie weiß, was in den Babybüchern darüber steht, dass man sein Kind an einen Zeitplan gewöhnen soll –, aber es ist ihr egal. Sie will nur das: in ihrem dick gepolsterten zitronengelben Sessel sitzen, der genauso hässlich ist wie all die anderen bunt zusammengewürfelten Gegenstände in dieser möblierten Wohnung, und Gabis Mund an ihrer Brust spüren. Sie will spüren, wie die Milch tröstlich aus ihr entweicht, und einen Moment innehalten.
Denn im nächsten Augenblick wird sie wieder in Aktion sein.
Sie wird Philippe anrufen und ihm sagen, dass er sie in einem Café treffen soll.
Sie wird Fadwa oder Fawad oder Fadul unten anrufen und sie bitten, als Babysitterin einzuspringen. Es ist ein Schultag. Das Mädchen wird nicht zu Hause sein. Sie wird die Mutter des Mädchens bitten, aber die Frau spricht kein Englisch. Sie wird gestikulieren: Baby. Aufpassen. Wie in einer Pantomime wird sie ihr das Baby zeigen und sich dann daneben auf einen Stuhl setzen. Es ist lächerlich. Sie wird es nicht verstehen.
Durchatmen, sagt sie sich.
»Warum Regen, warum Regen, warum Regen, warum Regen?« Es ist zu einem Sprechgesang geworden, so nervtötend wie eine Polizeisirene, und Cole rennt durch die Wohnung, als hätte er Feuer gefangen.
Riley sieht auf die Uhr: 7.15 Uhr. Wo zum Teufel ist Vic so früh?
Sie haben sich gestern Abend gestritten, in der einzigen Zeit, die sie zusammen verbrachten, bevor sie erschöpft und wie betäubt ins Bett krochen. »Meinst du etwa,
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