Einem Tag in Paris
Seine sein, der die nächsten hundert Jahre immer und immer wieder geschieht.«
Nach der Beerdigung – mit den beiden identischen Särgen –, nachdem Josie fort von den Hunderten von Schülern, Eltern, Freunden und Verwandten und nach Hause gefahren war, ließ sie an ihren Fenstern die Rollläden herunter und kroch ins Bett. Sie nahm eine Schlaftablette, und irgendwann, mitten in einem traumlosen Schlaf, klingelte das Telefon.
Bevor sie es sich anders überlegen konnte, streckte sie die Hand zu ihrem Nachttisch aus und nahm ab.
»Alles okay mit dir?« Es war Whitney. Nach monatelangem Schweigen war Whitney wieder da. Der verheiratete Liebhaber war nicht mehr da.
»Ich kann nicht reden, Whitney. Ich schlafe.«
»Du sollst nicht reden. Du sollst zuhören.«
»Ich will nicht zuhören.«
»Es ist nur zu deinem Besten …«
»Verpiss dich, Whitney.«
»Ich meine nicht seinen Tod. Das ist tragisch. Und sein Sohn. Ich kann es nicht glauben.«
Josie legte auf. Ihr Mund war wie ausgedörrt, und das Wasserglas neben ihrem Bett war leer. Sie stemmte sich hoch und stieg aus dem Bett. Sie war verschwitzt vom Schlafen unter zu vielen Decken. Sie schlüpfte aus ihren Kleidern, und als sie einen Blick in den Spiegel warf, sah sie ihren Körper, den Körper, den Simon immer und immer wieder geliebt hatte. Sie wandte sich ab, fand einen frischen Pyjama und zog ihn an.
Sie schlurfte in die Küche und schenkte sich ein Glas Wasser ein.
Im Fenster standen die blauen Schwertlilien ihres Vaters, umrahmt vom spätabendlichen Licht. Sie hatte vergessen, sie wegzustellen und die Jalousie herunterzulassen. Sie ließ sich auf einen Stuhl fallen und starrte auf die Blumen. Dann sah sie dahinter, durchs Fenster, einen Hirsch. Er sah sie an und legte den Kopf schräg. Dann wandte er sich ab, sprang mit einem eleganten Satz über den Bach und verschwand im Wald.
Ich will hier weg, dachte Josie. Ich will flüchten.
Sie ging zum Telefon und nahm den Hörer in die Hand. Sie rief ihre Chefin, die Schulleiterin, zu Hause an.
»Waren Sie auf der Beerdigung?«, fragte Stella. »Es waren so viele Leute da. Ich habe Sie gar nicht gesehen.«
»Ich war da«, sagte Josie.
»Die arme Frau«, murmelte Stella.
»Hören Sie«, sagte Josie. »Der Zeitpunkt ist vielleicht etwas ungünstig. Aber ich wollte Ihnen sagen, dass ich nächstes Jahr nicht wiederkommen werde.«
»Lassen Sie uns am Montag darüber reden, Josie.«
»Ich muss jetzt darüber reden. Ich werde das Schuljahr noch beenden. Aber das ist alles.«
»Was haben Sie vor?«
»Ich weiß nicht«, sagte Josie.
»Sie waren sehr zerstreut in letzter Zeit. Stimmt irgendetwas nicht?«
Josie murmelte einen Abschiedsgruß und legte auf.
Sie ging zurück in ihr Schlafzimmer. Sie war froh, wieder im Dunkeln zu sein. Im Zimmer roch es schal. Einen Augenblick lang dachte sie an Simons Geruch, und sie verspürte einen schmerzlichen Stich in der Brust. Sie hielt sich eine Hand vors Gesicht und atmete stattdessen ihren eigenen säuerlichen Geruch ein.
Sie trat an ihre Kommode und entnahm ihr einen Umschlag. Sie sah die Zeichnung mit dem Eiffelturm. Auf der Spitze des Turms sah sie zwei winzige Gestalten stehen. Eine hatte lange Haare; die andere war sehr groß, mit zwei grünen Punkten als Augen. Sie berührte seinen Mund mit dem Finger.
Sie öffnete den Umschlag. In zweieinhalb Wochen würde sie nach Paris fliegen. Sie wusste nicht, wie es danach weitergehen würde. Aber erst einmal hatte sie Paris, um ihr über die nächsten Tage zu helfen.
Josie und Nico finden schließlich einen Platz, von dem aus sie die Dreharbeiten beobachten können. Nico hat sie auf das Oberdeck eines Restaurantschiffes am Rand des Kais geführt. Es ist ein langes Boot, mit schönen Teakholzböden und Liegestühlen und weißen Sonnenschirmen. Am anderen Ende des Boots befindet sich eine Bar, voller Leute, alle mit Drinks in den Händen. Josie und Nico bahnen sich einen Weg durch das Gedränge, lehnen sich gegen die Reling und haben einen ungehinderten Blick auf die Brücke.
Neben ihnen hat ein Kellner eine Flasche Champagner geöffnet, als würde hier eine Premiere oder ein nationales Ereignis von großer Wichtigkeit stattfinden. Er schenkt den Champagner aus, und die Gruppe – junge Büroangestellte vielleicht, die sich alle von der Arbeit abgeseilt haben, um bei den Dreharbeiten zuzusehen – stößt an.
»Ich bin nicht überzeugt davon, dass das hier die Kunst ist, die hundert Jahre überdauern wird«,
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