Einem Tag in Paris
findet, der es tut, und sie wird einen Termin vereinbaren, um Gabis Ohren untersuchen zu lassen.
Bald wird der Regen aufhören.
Bald wird sie Philippe sehen.
Riley lässt sich auf einem Stuhl in dem Café nieder – der Regen hat vorläufig aufgehört, aber sie kennt Paris gut genug, um zu wissen, dass ihr dieses nasse Zeug den Tag verderben wird.
Sie staunt, wie viel sie heute schon geschafft hat. Sie hat ihre Mutter zurückgerufen, aber Mom sagte, sie würde sich jetzt schlafen legen – in Florida sei es halb zwei Uhr morgens, und sie bräuchte ihren Schönheitsschlaf. Riley hat die Frau in der Wohnung unter ihr überredet, auf die Kinder aufzupassen. Sie hat frische Kleidung gefunden. Sie passt ihr fast – noch zehn Pfund, und sie wird wieder ihr altes Kampfgewicht haben. Aber auf die pains au chocolat wird sie nicht verzichten, und außerdem ist da noch das Problem mit ihren riesigen, milchbeladenen Brüsten. Tant pis. Diesen Ausdruck hat sie gelernt – Was soll’s. Dann spannt sich das T-Shirt eben über ihrer Brust, und die Jeans liegt eng an ihren Hüften. Tant pis, Victor.
Sie ist früh dran. Sie schlägt ihr Heft mit der Lektion der letzten Woche auf. Die Wörter verschwimmen vor ihren Augen. Sie war einmal eine aufgeweckte Person. Sie war einmal jemand, der lange Gespräche mit intelligenten Leuten führte, über Politik und Kunst und darüber, warum ihr Nachbar in Apartment 3B mitten in der Nacht sang.
Jetzt sagt sie entweder gar nichts, oder sie redet mit Kleinkindern. So oder so, die Intelligenz hat abgenommen, das ist ihr nicht entgangen. Es ist schwer, über die Erderwärmung zu diskutieren, wenn sie nur noch Babysprache spricht.
Und Philippe weigert sich, englisch mit ihr zu reden. Sie ist sich sicher, dass er es kann – er hat dieses gewisse europäische Etwas, das im Allgemeinen heißt: »Oh, ich spreche sechs Fremdsprachen. Und ein bisschen Japanisch.«
Er denkt, wenn sie französisch sprechen muss, dann wird sie es schon tun. Aber stattdessen sitzt sie da wie ein scheues Reh, wie eines dieser unscheinbaren Mädchen auf der Highschool, die sich nie zu Wort meldeten. »Ich bin der Liebling der Lehrer!«, will sie am liebsten schreien. »Ich habe so viel zu sagen, dass ihr mich nicht zum Schweigen bringen könnt!« Aber sie hat nichts zu sagen, denn ihr fehlen die Worte, mit denen sie es sagen könnte.
In ihrem tollen Job, den sie drei Wochen vor Coles Geburt aufgegeben hat – auch wenn sie sich nicht mehr erinnern kann, warum –, verfasste sie Krisenmeldungen für Großkonzerne. Aktien im Sturzflug? Das biege ich hin! Vorstandschef mit dem Büroboten auf der Herrentoilette erwischt? Geben Sie mir einen Augenblick Zeit, dann werde ich erklären, inwiefern das gut für das Unternehmen ist! Aber jetzt kann sie nicht einmal mehr ihr eigenes Leben zu einer guten Geschichte umschreiben – weil ihr die Worte dafür fehlen. Je suis verloren.
Der Kellner kommt herüber und fragt sie etwas, worauf sie die Antwort weiß. »Café, s’il vous plaît.« Dann sagt er noch etwas, und sie nickt. Vermutlich wird er ihr einen Teller Schweinefüße zu ihrem Kaffee bringen, und sie wird sich nicht einmal beschweren können. Weil ihr die Worte dafür fehlen.
Vor einem halben Jahr machte Cole eine schwere Phase durch. Ihre amerikanischen Freundinnen, die selbst Mütter waren, sagten zu ihr: »Das ist das Trotzalter, mit zwei, keine Sorge, das geht vorbei.« Er tobte – warf Dinge, oft auch sich selbst, auf den Boden, und das am liebsten in aller Öffentlichkeit. Sie und Vic fanden einen Satz, der half: »Benutz deine Worte.« Und wie durch ein Wunder hörten die Wutanfälle auf, sobald Cole seine ersten Worte lernte. Er konnte »Kekse« oder »Frechdachs« oder »Schweinchen Dick« oder »böse Mama« sagen, und dann nickten sie und holten ihm, was er brauchte. (»Böse Mama« bedeutete, dass Daddy ihn zu Bett bringen sollte.) Wenn Riley mitten auf dem Bauernmarkt Les Enfants Rouges steht und die Käsedame sie in ihrem Schnellfeuer-Französisch irgendetwas fragt, überlegt Riley, ob sie sich selbst auf den Boden werfen und mit den Füßen um sich treten soll. Benutz deine Worte! Aber es gibt keine.
Der Kellner kommt mit Kaffee und ohne Schweinefüße wieder. Riley verbrennt sich die Zunge an dem Kaffee. Egal, denkt sie. Diese Zunge brauche ich sowieso nicht. Alles tut ihr weh. Sie hat aufgehört zu weinen, und sie hat ihrer Mutter versprochen, kein Theater zu machen. Es ist doch nur Krebs,
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