Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Einem Tag in Paris

Einem Tag in Paris

Titel: Einem Tag in Paris Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: E Sussman
Vom Netzwerk:
Kunst.«
    »Das ist seltsam.«
    »Sie drehen einen Film«, sagt Riley zu Cole. »Sie werden eine Szene filmen und in einem Film bringen. Es ist nicht echt.«
    Niemand sagt etwas.
    »Das ist doch unlogisch«, sagt Riley laut zu sich selbst. »Natürlich ist es echt. Wir sehen es ja.«
    »C’est vrai«, sagt Philippe.
    Sie legt Cole eine Hand auf den Kopf. Er sieht zu ihr hoch, mit weit aufgerissenen Augen.
    »Du weißt doch, dass jemand, der in einem Film stirbt, nicht wirklich stirbt, oder? Es ist ein Schauspieler, der nur so tut, als ob er tot ist. Das heißt, wenn irgendwelche Leute in diesem Bett irgendetwas tun, dann tun sie nur so, als ob.«
    Cole sieht sie noch immer an, wartet auf eine bessere Erklärung. Aber sie hat keine.
    »Erklär du es«, sagt sie zu Philippe. Dasselbe sagt sie oft zu Vic. Wenn er am Ende eines langen Tages nach Hause kommt, will sie gern, dass er die ganzen Fragen beantwortet, die Cole stellt. Manchmal fällt es ihr zu schwer, auch nur die einfachsten Dinge zu erklären: »Warum muss Daddy arbeiten?«, »Warum ist Daddy weggegangen?«, »Warum weint Mama?«
    »On verra«, sagt Philippe.
    So viel zu Männern und ihren Erklärungen.
    Aber Cole gibt sich damit zufrieden, und er sieht wieder das Bett an.
    An einem Ende der Brücke stehen ein paar Zelte, und eine Menschenmenge umringt das Bett. Riley entdeckt einen Regiestuhl mit einer rothaarigen Frau, die darauf thront. Sie fuchtelt mit den Händen und brüllt.
    »Da ist deine tolle Regisseurin.« Riley zeigt in die Richtung.
    »Mais oui«, seufzt Philippe, als hätte er eben das Nirwana erreicht. Im Bett hat er nicht so geseufzt, denkt Riley. Er muss sich seine Seufzer für die Kunst aufheben.
    Und dann, wie in einem blendenden Blitzstrahl, gehen alle Lichter rings um das Bett an, und das Bett selbst wird eine Art heiliger Anblick, eine Oase aus Weiß, ein Winken, ein Ruf. Die Menge stößt einen kollektiven Seufzer aus – was immer dort draußen los ist, Riley entgeht es. Dann liegt da eben eine Matratze auf einer Brücke in der Mitte des Flusses. Was ist denn schon dabei?
    In der absoluten Stille der staunenden Menge wird ein Piepsen laut, dann ein Kreischen, dann ein Brüllen. Ihr Baby schreit.
    »Schscht«, sagt Riley und tätschelt Gabis Kopf.
    Philippe wirft ihr einen vernichtenden Blick zu; selbst Cole hebt den Kopf, als würde er sie gleich dafür schlagen, dass sie dieser geheiligten Zeremonie nicht mit dem angemessenen Anstand beiwohnt. Scheiß auf den Anstand, denkt Riley. Das Kind hat Hunger.
    Sie rutscht an dem Baumstamm nach unten, bis sie auf den Wurzeln sitzt. Sie nimmt Gabi aus ihrem Tragetuch und knöpft sich rasch die Bluse auf. Sie zieht ihren BH über ihre Brüste hoch und lässt das Baby saugen, als hinge sein Leben davon ab. Ahhh. Jetzt stößt Riley selbst einen tiefen Seufzer aus. Das ist Liebe.
    Während Gabi nuckelt und alle anderen irgendeine dämliche Szene unten auf der Brücke beobachten – zwischen Philippes Beinen kann Riley eine nackte junge Frau sehen, die sich auf dem Bett räkelt, während ein aufgeblasener Arsch das Bett umrundet, als wäre er der leibhaftige Elvis Presley –, denkt Riley über Liebe nach.
    Es ist nicht Sex, auch wenn Sex ein toller Ersatz für Liebe ist. Es ist dieses Kind, diese Brust, dieser Milchfluss. Es ist Cole, der in diesem Augenblick die erste nackte Frau in seinem Leben sieht, nur kurz nachdem er das Liebeslied eines kleinen Mädchens unten im Hof gehört hat. Es ist ihre Mutter in Florida, die sie jeden Tag gefragt hat, ob sie zu Besuch kommen könne, da sie wusste, dass Riley unglücklich ist, obwohl Riley nie ein Wort davon gesagt hatte. Und in diesem Augenblick weiß Riley, was sie zu tun hat. Die Liebe sitzt nicht einfach da und sieht zu. Die Liebe springt in ein Flugzeug und lässt sich blicken.
    Sie zückt ihr Handy. Sie klickt den Namen ihrer Mom an, und Augenblicke später hört sie die Stimme ihrer Mutter an ihrem Ohr.
    »Das ist jetzt das dritte Mal an einem Tag«, sagt ihre Mom.
    »Ich komme nach Hause. Ich fahre dich zum Krankenhaus. Keine Widerrede«, sagt Riley.
    »Es geht mir gut …«
    »Hör zu«, sagt Riley. »In ein paar Monaten wirst du mich in Paris besuchen kommen. Du wirst begeistert sein. Ich werde dir den Eiffelturm zeigen, und wir werden mit einem bateau-mouche fahren. Das habe ich alles noch nie getan. Aber jetzt komme ich erst einmal nach Florida.«
    »Warum flüsterst du?«
    »Weil hier alle zusehen, wie irgendein Film gedreht wird.

Weitere Kostenlose Bücher