Einem Tag in Paris
Chantal vor ihm stehen.
»Unser letzter Tag«, sagt Chantal auf Französisch. »Sind Sie bereit?«
Es gibt so vieles, was er sagen könnte. Nein, ich bin nicht bereit dafür, dass meine Französischstunden zu Ende sind. Ja, ich bin bereit für Sie. Nein, ich bin nicht bereit dafür, dass mein Leben sich ändert. Ja, ich bin bereit für Sie. Nein, ich bin nicht bereit für Lindy, meine Stieftochter, die gestern Nacht unerwartet und mit kahl rasiertem Kopf in der Wohnung aufgekreuzt ist. Ich bin nicht bereit für noch einen Abend mit dieser unerträglichen Filmcrew.
»Oui«, sagt er. »Je suis prêt.«
Die französische Privatlehrerin lächelt ihr betörendes Lächeln, und Jeremy entspannt sich zum ersten Mal an diesem Morgen.
Sie stehen vor der métro im Fünften Arrondissement. Jeden Morgen treffen sie sich an einer anderen métro-Station. Chantal und Jeremy schlendern durch die Straßen von Paris, während sie sich auf Französisch unterhalten. Jeremy gefällt dieses System, und er fragt sich, ob Chantal das immer so mit ihren Schülern macht oder ob sie dieses Programm entwickelt hat, als sie Jeremy vor vier Tagen zum ersten Mal traf und sah, dass er sich wohler fühlte, wenn er in Bewegung war. Hätte ich mich doch nur schon als Kind beim Lernen bewegen dürfen, denkt er. Vielleicht hätte mir eine Schule, in der man gehend lernt, gefallen.
Er bezweifelt nicht, dass Chantal im Stande wäre, in wenigen kurzen Stunden auch das über ihn zu erfahren. In diesen vier Tagen hat sie herausgefunden, dass er gern über Architektur redet, über Holz, über Politik und Literatur. Und so hat sie ihre Gespräche ebenso wie ihre Wege durch Paris gesteuert, ist auf seine Bedürfnisse eingegangen, ohne ihn je direkt zu fragen, was er gern tun würde.
Der gestrige strahlende Sommerhimmel ist verschwunden, und Wolken sind heraufgezogen. Chantal trägt einen Schirm bei sich. Die Luft ist schwer von Feuchtigkeit und kräftigen Gerüchen.
»Wir werden am Markt anfangen«, sagt Chantal auf Französisch. »Ich werde Sie in die Sprache des Essens einführen.«
Jeremy hat Chantal nicht gesagt, dass er gern kocht. Er lächelt sie an und nickt, froh, an ihrer Seite zu sein.
»Ich habe meinem Mann zu unserem Hochzeitstag ein schönes französisches Mädchen geschenkt«, sagte Dana zu ihrer Tischgesellschaft gestern Abend.
»Nicht ganz«, fügte Jeremy hinzu.
»Ich wollte, dass er mich auf dieser Reise begleitet«, erklärte Dana, wobei sie sich verschwörerisch zu den Männern und Frauen an ihrem Tisch vorbeugte. Sie dämpfte ihre Stimme, als wäre sie im Begriff, sie in ein Geheimnis einzuweihen. Aber sie waren die letzten Gäste im Restaurant. Dana war erst nach zehn Uhr mit den Dreharbeiten fertig geworden. Sie begannen um halb elf oder so mit dem Abendessen, und jetzt war es fast ein Uhr morgens. Die Kellner hingen am Eingang zur Küche herum, wollten endlich nach Hause gehen. »Es ist unser zehnter Hochzeitstag – ich hatte nicht vor, ihn allein in Paris zu verbringen.«
Dana ist nie allein. Sie hat Schauspielerkollegen und Regisseure und Agenten und Fans, so viele Fans, dass sie in dieser fremden Stadt, in der weniger Leute sie erkennen, auf einmal unsicher wirkt.
»Ich bin eben mit einem Restaurierungsprojekt in Santa Barbara fertig geworden«, sagte Jeremy. »Ich bin gern mitgekommen.«
Er verfluchte sich dafür, dass er das Bedürfnis verspürte, ihrer Tischgesellschaft in Erinnerung zu rufen, dass er auch arbeitete, dass er auch ein Leben hatte – und ein künstlerisches noch dazu. Er folgt nicht nur Dana von einem Drehort zum nächsten. Aber sie achteten gar nicht auf ihn. Sie wollten das mit dem schönen französischen Mädchen hören. Jeremy wünschte, er wäre wieder mit Dana im Hotel, im Bett, endlich allein.
»Aber was könnte er schon den ganzen Tag in Paris tun, während ich drehe?«, fragte Dana die Gruppe. »Na ja, Pascale hat mir den Namen einer Sprachenschule genannt, und ich habe ihm eine ganze Woche Privatunterricht gebucht. Während ich arbeite, lernt er die Sprache der Liebe mit jemandem namens Chantal.«
Sie breitete den Namen vor ihnen aus, als wäre er ebenfalls ein Geschenk: »Chant-a-a-al.«
»Nicht ganz«, sagte Jeremy. Er ist die Geschichten seiner Frau gewohnt und die Art, wie sie immer größer werden. Morgen Abend könnte Chantal die schönste Frau in ganz Frankreich sein. »Über die Liebe haben wir noch nicht gesprochen«, erklärte er.
Alle waren entzückt.
»Gott sei Dank
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