Einem Tag in Paris
Angst. Aber er sieht ihr Gesicht – sie ist begeistert von dem Gewitter. Er lächelt im Stillen, froh, dass sie nicht ins Museum gelaufen sind.
Und schließlich gibt es keine Worte mehr – selbst das Durcheinander von Französisch und Englisch in Jeremys Kopf verlangsamt sich und verstummt. Es gibt nur noch dies: das Peitschen des Windes gegen die Bäume, das Trommeln des Regens auf die Erde, das Donnern des Himmels.
Jeremy kann Chantals Shampoo riechen – etwas wie Mandarine. Er atmet sie ein.
Er hat gestern Nacht mit Dana geschlafen, nachdem sie irgendwann nach drei Uhr morgens von ihrem Streit auf der Straße zurückgekehrt waren, nachdem sie den ganzen Weg vom Marais bis zu ihrem Hotel in der Nähe der Kirche Saint-Sulpice zu Fuß gelaufen waren. Sie hatte sich zu ihm umgewandt, sobald sie ins Bett geklettert waren.
»Ich brauche dich«, flüsterte sie, und er funkelte sie an. Brauchte sie Sex oder ihn? Er drückte sie mit dem Rücken aufs Bett, nagelte ihre Schultern fest und kletterte auf sie.
»Was brauchst du? Sag es mir«, sagte er.
»Dich.«
»Sex«, sagte er.
»Dich.«
»Du brauchst mich nicht«, sagte er. Er beugte sich genau über sie, und sie hob den Kopf zu seinem Mund – ihr Kuss war voller Hunger und Wut. Sie zerrten aneinander, verhedderten sich in den Laken, und irgendwann spürte Jeremy Danas Mund an seinem Nacken, ihre scharfen Zähne. Sie warfen einander herum und drückten sich gegenseitig aufs Bett, rangen beide, um den anderen zu überwältigen. Das hatten sie noch nie getan, sie waren nie grob oder rauflustig im Bett gewesen. Ihr Liebesspiel war immer zärtlich, intim gewesen; immer hatten sie den Blick aufeinander geheftet. Diesmal sahen sie sich kaum an.
Als Jeremy kam, schien sein Orgasmus lange Zeit anzuhalten. Und dann wartete Dana nicht ab, bis er sie befriedigte – sie nahm seine Hand und drückte sie sich zwischen die Beine. Sie hielt sie dort fest und rieb sich an ihm, und ihr Körper suchte nach der Befreiung. Als sie sie fand, rief sie seinen Namen.
»Alles in Ordnung mit dir?«, fragte er sie, als sie sich zum Schlafen aneinanderkuschelten. Er hatte seinen Körper um ihren Rücken geschlungen, den Arm um sie gelegt und zwischen ihren Brüsten vergraben.
»Ich muss zu dir nach Hause kommen«, sagte sie leise.
Der Sturm hört so plötzlich auf, wie er begonnen hat. Chantal löst sich von Jeremy, sodass er kurz nach Luft schnappt, als würde er ohne ihr Gewicht an seiner Seite vielleicht stolpern.
»Merci«, sagt sie schlicht.
»Avec plaisir«, lächelt er.
»Regarde.« Sie zeigt auf die weitläufigen Gärten. Neues Licht breitet sich über dem saftigen Grün aus, prallt wie elektrisch aufgeladen von Regentropfen ab. Alles sieht wie neu gesprossen aus, verblüffend anders. Es kommt ihm vor, als hätte er den Garten noch nie gesehen.
Sie benennt nicht, was sie ansehen.
Sie steigen vorsichtig durch das nasse Gras und über den kleinen Zaun und kehren zurück auf den Weg. Chantal hält ihren eingeklappten Regenschirm hoch und lacht. »Was für ein albernes Ding das doch ist.«
»Ich gehe nur ungern von hier fort«, sagt Jeremy mit aufrichtigem Bedauern, »aber wir müssen meine Tochter treffen.«
»Natürlich«, sagt Chantal.
»Ich habe Lindy gebeten, uns vor der Moschee auf der anderen Straßenseite zu treffen.« Er hält einen Augenblick inne, forscht in ihrem Gesicht. »Wenn Ihnen das recht ist.«
»Das ist ein sehr guter Plan«, sagt sie. »Ich hätte es selbst vorgeschlagen.«
Jeremy spürt Stolz in sich aufwallen, als hätte er eine Arbeit mit einer Eins geschrieben. Eine Schuljungen-Schwärmerei, denkt er. Was für ein Narr.
Und doch hat es etwas Tröstliches, diese seltsamen Gefühle zu benennen, die heute in ihm verrücktspielen. Als könnte er sie jetzt einordnen. Es ist eben doch übersetzbar.
Auf einmal fragt er sich: Hat Lindy in jener Nacht mit dem Flussführer geschlafen? Am nächsten Tag, am Flughafen in San José, hatte sie geschluchzt, bevor sie an Bord des Flugzeugs gingen, und sie hatte nicht mit ihrer Mutter reden wollen. Als Dana auf die Toilette ging, flüsterte Lindy Jeremy zu: »Ich will bei Paco bleiben. Ich kann ihn nicht verlassen.« Jeremy küsste sie auf den Kopf. »Ist es Liebe?«, fragte er lächelnd. »Natürlich ist es Liebe!«, rief sie und stürmte davon.
Warum verleiht es einer Sache so viel Macht, wenn man sie benennt?, fragte sich Jeremy.
Chantal wirft einen Blick auf ihre Armbanduhr. »Es ist fast halb zwölf.
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