Einem Tag in Paris
Ich bin der einzige Mensch in Paris, der immer pünktlich ist. Ruinieren wir nicht meinen guten Rekord.«
Auch das gefällt Jeremy. Dana kommt natürlich immer zu spät – die Besprechung hat länger gedauert als geplant, die Fotografen sind nicht erschienen, der Regisseur hat zwanzig Aufnahmen ein und derselben verdammten Szene verlangt. Er nimmt jedes Mal ein Buch mit, wenn er sich auf den Weg macht, um sie zu treffen. Und er rechnet immer damit, warten zu müssen. Wenn sie schließlich kommt, hat er im Allgemeinen jeden Groll vergessen, sobald sie anfängt, ihm von ihrem Tag zu erzählen. Ihre Tage sind ausgefüllt mit Geschichten. Er arbeitet still mit seinem Holz und seinem Werkzeug und seinem Schweigen. Am Ende seines Tages ist es, als würde Dana das Fenster öffnen und die Welt hineinlassen.
Sie gehen rasch durch den Garten. Jeremy ist angespannt, als könnte das Gewitter jeden Augenblick wieder losbrechen. Aber nein, der Himmel ist hell, die Wolken sind verschwunden. Chantal hat sich die Tüten jetzt über die Schultern geworfen, und anstatt dass er spürt, wie ihr Körper seinen streift, stößt jetzt nur ihre Einkaufstüte gegen seine Hüfte, während sie weitereilen.
»Jeremy!«, ruft Lindy, als sie den Ausgang des Jardin des Plantes erreichen. Sie schießt über die Straße und wirft sich in seine Arme, bevor er sich das Mädchen auch nur genau ansehen kann. Sie drückt sich an ihn, und er muss unwillkürlich lachen. Sein Kind. Es steht außer Frage, dass sie das ist, auch wenn sie nur ihr halbes Leben mit ihm verbracht hat. Sie hat ihn gewählt, was sogar noch besser ist als das, was die meisten Dads bekommen.
»Du bist schön«, sagt er, als er endlich Worte findet. Er hält sie vor sich. Es stimmt noch immer: der schockierend kahle Kopf lässt ihre grünen Augen noch mehr leuchten. Ihr Lächeln ist strahlend.
»En français!«, schilt sie ihn. Und dann wendet sie sich an Chantal und streckt ihr die Hand entgegen. »Je m’appelle Lindy.«
»Chantal. Enchantée.«
»Spricht er wirklich Französisch?«, fragt sie verschwörerisch auf Französisch, als wäre Jeremy gar nicht anwesend.
»Sehr gut sogar«, sagt Chantal. »Genau wie du.«
»Bof. Ich habe mein ganzes Französisch vergessen. Ich brauche Übung – ich brauche einen französischen Freund. Das würde helfen.«
»Du kannst meinen haben«, sagt Chantal.
Jeremy sieht sie an – sie lächelt mühelos. Jeremy fühlt sich, als hätte er die Kontrolle über dieses Gespräch verloren. Mädchengerede spricht er in keiner Sprache.
»Wollen wir in die Teestube gehen?«, fragt er auf Französisch.
»Oh, du klingst so anders auf Französisch!«, ruft Lindy.
»Wie denn?«, fragt er.
»Ich weiß nicht. Du bist so – sexy.«
»Offenbar bin ich auf Englisch nicht sexy«, erklärt Jeremy Chantal.
»Nein, das ist es nicht«, sagt Lindy. »Du bist wie jemand, den ich gar nicht kenne. Du könntest irgendjemand sein.«
»Nicht dein Stiefvater.«
»Mein Stiefvater würde nicht mit einer schönen jungen Französin die Stadt unsicher machen.«
Chantal wendet rasch den Blick ab.
»Lindy«, sagt Jeremy und bricht dann ab. Das Lächeln des Mädchens sieht verschlagen aus. Aber Lindy ist nie verschlagen. Sie ist absolut ungekünstelt, selbst mit dem ganzen Glanz und Glamour des Lebens ihrer Mutter, der ihr auferlegt wurde. Sie ist immer hundertprozentig aufrichtig.
»Das hier ist eine Französischstunde«, erklärt er mit leiser, ernster Stimme.
»Na ja, natürlich ist es das«, sagt Lindy.
Sie überqueren die Straße und betreten die Moschee. Es ist ein maurischer Bau, mit einem eindrucksvollen Minarett, außen ganz in Weiß, einladend kühl. Sie gehen durch den äußeren Teil des Cafés und betreten den Innenhof. Er ist schön gefliest, mit Tischen, die um Feigenbäume und Brunnen aufgestellt sind. Arabische Musik läuft im Hintergrund; Jeremy kann Weihrauch riechen. Er fühlt sich nach Marokko versetzt und muss an eine Reise mit Dana denken, als sie in Marrakesch einen Film gedreht hat. Eines Abends waren sie durch die Medina gegangen, und obwohl Dana Jeans und eine Tunika trug, drehte sich jeder Mann nach ihr um und sah ihr nach. Jeremy war nie entspannt, war immer wachsam gewesen, sah sich um und rechnete mit Ärger, während Dana sich nach billigen Schmuckstücken umsah, ohne auf die männliche Aufmerksamkeit rings um sie zu achten. Am Ende des Abends war er erschöpft, aber seltsam zufrieden. Das war sein Job; sie brauchte ihn
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