Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Einem Tag in Paris

Einem Tag in Paris

Titel: Einem Tag in Paris Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: E Sussman
Vom Netzwerk:
als das, was ich war.« Jeremy fällt auf, dass Chantal zum ersten Mal nicht das Wort finden kann, das sie sucht. »Und wissen Sie, was ich entdeckt habe, während ich in meiner Hippie-Strandkommune ohne fließendes Wasser und elektrischen Strom lebte? Dass ich Pariserin bin.«
    Jeremy versucht sich vorzustellen, wie Chantal mit ihrer eleganten Strickjacke, ihrem ordentlich zusammengeklappten Regenschirm, ihren winzigen Perlenohrringen, diese entzückende, gefasste Frau in einem Zelt am Strand lebt. Er lächelt bei der Vorstellung.
    »Sie lachen mich aus«, sagt Chantal.
    »Nein, ganz und gar nicht. Sind Sie gleich wieder nach Hause gekommen?«
    »Nicht gleich«, erklärt Chantal. »Aber manchmal müssen wir vor uns selbst davonlaufen, um uns zu finden.«
    Vor ein paar Tagen waren Chantal und Jeremy während ihrer Französischstunde durch den Parc Monceau gelaufen. Eine Frau und ein Mann hatten in der Nähe des Crêpeverkäufers gestanden und sich laut gestritten. »Je suis Américaine!«, brüllte die Frau. »Je suis Américaine!« Jeremy hatte die Geschichte später Dana erzählt. »Was passiert mit deiner Identität, wenn man dich von allem, was dir vertraut ist, wegnimmt?«, hatte er gefragt. »Dann lernst du dich selbst besser kennen«, hatte sie überzeugt geantwortet.
    Ich nicht, hatte Jeremy gedacht. Ich weiß, wer ich bin, wenn ich zu Hause in meiner Werkstatt bin. Wenn ich mit meiner Frau im Bett bin. Wenn ich in meiner Küche das Abendessen zubereite.
    Schon jetzt, nach ein paar Tagen in Paris mit einer fremden Frau an seiner Seite, hat Jeremy das Gefühl, den Boden unter den Füßen verloren zu haben.
    »Wirst du zu diesem Kloster zurückkehren?«, fragt Jeremy Lindy. Ihm graut ein bisschen vor der Antwort.
    »Nein«, sagt sie leichthin. »Ich brauche Sex.«
    »Verschone mich«, sagt Jeremy auf Englisch, und beide Frauen lachen.
    Lindy beugt sich zu Chantal vor und flüstert ihr etwas zu. Mehr Gelächter. Jeremy spürt zum ersten Mal seinen Kater. Wie viele Flaschen Wein haben sie alle gestern zum Abendessen getrunken? Er muss essen, er muss schlafen, er muss über irgendetwas anderes nachdenken als darüber, dass seine Tochter Sex braucht. Er nimmt an, dass sie mit ihrem Highschool-Freund geschlafen hat, auch wenn diese Beziehung nur einen Monat oder so gehalten hat. Dana überlegte, ob sie danach vielleicht immer noch gelegentlich Sex miteinander hatten, eine entsetzliche Vorstellung für Jeremy. Anders als die meisten Männer, die er kennt, wollte Jeremy Sex immer nur in Verbindung mit Liebe. Wenn er eine Frau im Bett kennt, will er sie auch außerhalb des Betts kennen. Und wenn er sie im Bett liebt, na ja, dann sollte der Rest folgen.
    Und hier ist seine Tochter – zwanzig, schön und verloren – auf der Suche nach Sex. Jeremy weiß, dass Männer es auf solche Mädchen abgesehen haben, und das macht ihm schreckliche Angst.
    »Ich werde ein paar Freunde treffen«, sagt Lindy, »auf dem Champ de Mars. Sie machen ein Picknick.«
    Jeremy denkt an das Picknick mit Chantal, das er sich vorgestellt hat. Jetzt pressen sich seine Füße gegen Käsestücke, Tomaten, Oliven. Was passiert als Nächstes?, fragt er sich. Wenn Lindy geht?
    Sie steht auf, beugt sich vor und küsst Jeremy auf beide Wangen. »À bientôt«, sagt sie. Und dann sagt sie irgendetwas auf Französisch, das Jeremy nicht versteht. Aber Chantal lächelt und schüttelt den Kopf.
    Lindy stürmt davon. Hat sie etwas Unfeines gesagt? Sollte er um eine Übersetzung bitten?
    »Sie ist ein schönes Mädchen«, sagt Chantal.
    »Danke«, sagt Jeremy töricht. Denn natürlich hat er nichts mit ihrer Schönheit zu tun. »Es tut mir leid, wenn …«
    »Nein, es war alles in Ordnung«, sagt Chantal.
    Er weiß nicht einmal, wofür er sich entschuldigen wollte, und jetzt ist es vorbei. Lindy ist gegangen. Die Teetassen sind geleert. Die Mädchen haben ihre Kekse aufgegessen. Irgendwie ist sogar die Rechnung bezahlt.
    »On y va«, sagt Chantal. Und sie sind wieder unterwegs.
    Chantal hat sie hinunter zur Seine geführt, und während sie durch das Musée de la Sculpture en Plein Air schlendern, einen Garten mit modernen Skulpturen hier und da, reden sie nicht über Kunst, sondern über die Liebe.
    »Heute Morgen habe ich über Lindys erste Liebe nachgedacht«, sagt Jeremy. »Ein Flussführer in Costa Rica.«
    »Wie romantisch«, sagt Chantal zu ihm.
    »Oh, die Romanze wurde binnen eines Tages zu einem Herzschmerz«, erklärt er. Auf einmal denkt er an den

Weitere Kostenlose Bücher