Einem Tag in Paris
Sex mit Dana gestern Nacht. Schmerz, Liebe, Lust – manchmal ist es ein Gesamtpaket.
»Erzählen Sie mir«, sagt Chantal, »von Ihrer ersten Liebe.«
»Meiner ersten Liebe?«
»Bitte. Ich würde die Geschichte gern hören.«
Und so erzählt er sie ihr in leichtem Französisch, da ihm all die Worte locker über die Lippen kommen – ja, es ist eben doch die Sprache der Romantik –, während sie am Fluss verweilen. Ein Fotograf macht Aufnahmen von einem asiatischen Paar in Hochzeitskleidung. Ein kleines Mädchen in einem rosa Kleid mit einem Blumenstrauß versteckt sich hinter der Braut. Es ist eine entzückende Szene, mit dem steinernen Fußweg, dem trägen Fluss, der Notre-Dame, die sich hinter ihnen auf der Île de la Cité erhebt. Die Luft ist schwer von Feuchtigkeit, und die Zeit scheint sich verlangsamt zu haben.
»Ich habe in einem Ferienlager ein Mädchen kennengelernt. Ich war dreizehn. Sie war sechzehn und viel, viel größer als ich, mit Haaren, die ihr bis zur Taille reichten. Sie trug sie in einem langen Zopf, der wie ein dickes Seil auf ihrem Rücken lag. Sie war eine Schwimmerin, und ich sah ihr oft zu, wie sie über unseren See in New Hampshire schoss, und ich fand, dass sie das schönste Mädchen der Welt war.«
»War es Liebe? Oder …« Chantal sagt die Worte: »Avoir le béguin pour quelqu’un?«
»Was heißt das?«, fragt er.
»Wenn man sich nach jemandem sehnt. Er ist unerreichbar. Aber man kann ihn sich nicht aus dem Kopf schlagen.«
»Eine Schwärmerei«, übersetzt Jeremy. »Aber wann wird aus einer Schwärmerei Liebe? Wenn man das Mädchen bekommt?«
Chantal schüttelt den Kopf, ein verschmitztes Lächeln im Gesicht. »Das Objekt einer Schwärmerei sollte man niemals bekommen.«
»Warum nicht?«
»Man wird enttäuscht sein. Bei einer Schwärmerei geht es um das Verlangen. Es geht nicht um Liebe.«
»Aber woher weiß man das, wenn man es nicht versucht hat?«, fragt Jeremy.
Die Braut und der Bräutigam beugen sich jetzt zueinander vor, und als sich ihre Lippen berühren, schießt der Fotograf ein Bild, und das Blumenmädchen kichert.
»Ich weiß einen Ort für unser Picknick«, sagt Chantal.
Sie gehen an der Seine entlang, lassen das Fotoshooting hinter sich. Jeremy erzählt ihr seine Geschichte.
»Eines Tages, gegen Ende des Sommers, kam ein Mädchen auf mich zu und erklärte mir, Sarah würde mich mögen. Sarah, das Objekt meiner Zuneigung. Ich war außer mir vor Aufregung. Ich nahm mir vor, sie an jenem Abend zu küssen. Ich wollte darüber nicht mit den anderen Jungen in meinem Schlafsaal reden, die mit ihrem armseligen Fummeln im Dunkeln prahlten – das hier war Liebe einer höheren Ordnung. Ich hatte wochenlang gewartet, hatte sie beobachtet, hatte jeden ihrer Schwimmzüge gelernt. Ich wusste, wie viele Schlingen ihr Zopf hatte, ich bemerkte es, wenn ein neuer Badeanzug nicht zu der Linie ihrer Sonnenbräune passte.«
»Ein Romantiker«, sagt Chantal.
»Ein Narr«, sagt Jeremy zu ihr.
»Wir sind gleich da«, sagt Chantal.
Der steinerne Fußweg verläuft am Ufer der Seine. Die Taschen stoßen gegen ihre Beine, während sie gehen. Chantals Schritte beschleunigen sich. Das ist nicht die Art, wie sie normalerweise gehen – langsam, mühelos, um Ecken schlendernd. Er verlängert seine Schritte, um mit ihr mitzuhalten.
Der Fluss steht hoch vom Sommerregen der letzten Tage. Beim Dinner gestern Abend sagte irgendjemand, es drohe eine Flut, und das Gespräch kam auf den Hurrikan Katrina. Zu Hause war Jeremy der Erste gewesen, der die Bush-Regierung beschuldigte, alles falsch zu machen, aber hier, unter Europäern, verhält er sich seltsam defensiv. Er hörte sich selbst dabei zu, wie er behauptete, dass es unmöglich wäre, eine Stadt zu schützen, die unter dem Meeresspiegel errichtet sei, und er dachte sich, noch während ihm die Worte über die Lippen kamen: Was sage ich hier eigentlich? Glaube ich das überhaupt selbst?
Später, auf dem Nachhauseweg, vor dem Streit, sagte er zu Dana: »Ich bin mir nicht sicher, worum es bei dieser ganzen Geschichte überhaupt ging. Bei diesen Ausländern überdenke ich unwillkürlich alles, was ich immer für selbstverständlich gehalten habe.«
»In Paris ist es immer noch peinlich, Amerikaner zu sein«, sagte sie.
»Das ist es nicht«, sagte Jeremy. »Ich meine, ich dachte einfach auf eine völlig neue Art darüber nach. Was ich sagte, erschien mir logisch. Es waren keine Entschuldigungen.«
Sie schlang den Arm um seine
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