Einem Tag in Paris
Taille und legte den Kopf an seine Schulter. »Ich bin müde«, sagte sie. »Manchmal ist es so anstrengend, die ganze Zeit so selbstbewusst zu sein.«
»Für dich?«, sagte er und küsste sie auf den Kopf.
»Vor allem für mich«, sagte sie zu ihm.
Das Wasser der Seine leckt am Rand dieser niedrig gelegenen Straße. Jeremy sieht nichts vor sich, was ein Picknickplatz sein könnte, falls es das ist, was Chantal sucht. Auf halbem Weg über den Fluss, auf der Île Saint-Louis, bieten lange Abschnitte des Flussufers Sonnenanbetern einen Platz, um sich auszustrecken. Jeremy wirft einen Blick auf den sich verdüsternden Himmel. Er stellt sich vor, wie die fast nackten Jungen, die auf dem Gras am Rand der Insel liegen, beim ersten Donnerschlag weglaufen, um sich irgendwo unterzustellen.
Aber Chantal steuert nicht auf die Brücke zu, die sich an der höher gelegenen Straße befindet. Und Jeremy fragt sie nicht nach ihrem Plan – das war immer eines seiner Vergnügen an seinen Tagen mit Chantal. Er überlässt alles ihr. Sie übernimmt die Führung bei ihren Gesprächen und bei ihren Spaziergängen durch die Stadt. Warum ist ihm dann auf einmal so ängstlich zu Mute? Es ist schließlich nicht so, dass sie verloren sind. Er kann sich unmöglich vorstellen, dass ihnen der Gesprächsstoff oder die Sehenswürdigkeiten ausgegangen sind.
Aber vor ihnen ist nichts, nur ein langes Stück Straße. Sie gehen schnell, und Chantals flache Absätze klappern über das Kopfsteinpflaster.
Jeremy denkt wieder an die Geschichte, die er erzählt hat – von dem Mädchen im Ferienlager –, und er verspürt einen Schwall von Erleichterung. Sie sind mitten in einem Gespräch. Er kann doch wieder zurückfinden.
»An jenem Abend im Ferienlager …«, sagt er, aber Chantal unterbricht ihn, etwas, was sie sonst nie tut.
»Augenblick«, sagt sie zu ihm. »Wir sind gleich da. Heben Sie sich Ihre wundervolle Geschichte auf.«
Jeremy ist besorgt – es ist keine wundervolle Geschichte. Es ist überhaupt kaum eine Geschichte. Das Mädchen hat sich nicht blicken lassen, die anderen Mädchen haben ihn aufgezogen, und er hat den See für den Rest des Sommers gemieden. Warum hat er sich überhaupt entschieden, diese Geschichte zu erzählen? Erste Liebe? Er hätte von Dana erzählen können, denn auch wenn es bis dahin etliche Freundinnen gegeben hatte, war sie natürlich die Erste, die sein Herz eroberte.
»Nous sommes arrivés«, sagt Chantal stolz. Hier sind wir.
Sie ist stehen geblieben, hat die Arme ausgebreitet. Jeremy sieht sich um. Hier ist kein Grasflecken, kein Baum, unter den man sich setzen könnte, nichts, was bemerkenswert wäre.
Bis Chantal auf den Fluss zu und dann immer weiter geht, ein paar steile Stufen hinunter und auf eine kurze Planke. Une péniche! Sie führt ihn auf einen der zahlreichen alten Lastkähne, die am Flussufer festgemacht sind. Dieser hier muss dringend gestrichen werden; er war einmal leuchtend rot, mit den Worten Jardin Bleu in Gelb auf die Bootswand gestrichen. Er ist nicht ganz so lang wie viele der anderen Boote – vielleicht zwölf Meter –, und es sieht aus, als hätte er seinen Platz seit Jahren nicht mehr verlassen.
Jeremy wirft einen Blick über die lange Reihe von Kähnen, und er erkennt augenblicklich, wodurch sich dieses Boot von den anderen unterscheidet – es ist ein Garten! Das Deck strotzt nur so von Topfpflanzen und Blumen und Farnen. Blühende Ranken wuchern über die Bootswände und hängen an ihnen herunter, manchmal bis zum Wasser. Und ein tiefer, kräftiger Dschungelgeruch schlägt ihm entgegen – hier ist etwas Wildes, Ungezähmtes.
Chantal steigt bereits auf das Boot, nimmt mit ihren langen, schlanken Beinen leicht die Lücke zwischen Pier und Boot. Sie beugt sich nach hinten und reicht ihm die Hand. Er ergreift sie, obwohl er diesen Schritt natürlich auch ohne ihre Hilfe tun könnte. Die Tüten an ihrem Arm stoßen aneinander, und sie sagt: »Lassen Sie mich die kurz abstellen. Kommen Sie. Willkommen in meinem Zuhause.«
Ihrem Zuhause.
Er steht da, die Füße fest auf dem Bootsdeck, und spürt ein momentanes Schwanken – natürlich, sie sind auf dem Wasser –, und das Boot schlingert, als ein bateau-mouche vorbeifährt. Er hält sich mit einer Hand an der Reling fest. Chantal streckt die Hände nach ihm aus, und er ist verwirrt, bis ihm die Tüten wieder einfallen, die ihm über Schultern und Unterarme hängen. Er drückt sie ihr in die Hände.
»Bitte. Suchen
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