Einem Tag in Paris
Sie sich einen Platz an Deck. Ich bin gleich wieder da.« Sie weist mit einem Kopfnicken zum hinteren Teil des Kahns.
In der Mitte des Gartens sieht er einen Tisch und zwei Stühle. Der Tisch steht unter einem Spalier; Glyzinien, in voller Blüte, ranken sich um das Holz, fallen an ihm herunter. Jeremy hat so etwas noch nie gesehen. Er muss irgendetwas sagen, aber als er zurücksieht, ist Chantal verschwunden. Er sieht nur noch ihren Hinterkopf, als sie ein paar Stufen in den Bauch des Boots hinabsteigt.
Wieder schaukelt das Boot; wieder hält sich Jeremy an der Reling fest und spreizt die Beine. Ich muss seetauglich werden, denkt er.
Er geht zu dem Tisch und den Stühlen, bahnt sich einen Weg zwischen den Töpfen mit blühenden Pflanzen und exotischen Farnen. Alles ist frisch bewässert von dem Gewitter, und der Geruch feuchter Erde steigt Jeremy in die Lungen.
Chantals Zuhause. Jeremy hätte sich viele Orte vorstellen können, an denen sie leben könnte – ein chambre de bonne in der Nähe des Eiffelturms, eine kleine Wohnung auf dem Linken Ufer, vielleicht sogar ein Loft im Marais –, aber das hier übersteigt seine Vorstellungskraft. Und doch ist es vollkommen. Das heißt es, jemanden kennenzulernen, denkt er. Man weiß viele Dinge über einen Menschen, und dann wird durch eine einzige neue Information all das Wissen, das man gewonnen hat, so völlig verändert, dass man noch einmal ganz von vorn anfangen muss.
Er schlendert über den Kahn, schlängelt sich zwischen den Übertöpfen hindurch. In manchen stehen einzelne Pflanzen, in anderen eine wilde Mischung von Blättern, die über den Rand der Töpfe hängen, saftig grün und lebendig. In diesen Pflanzen steckt so viel Farbe – Violetttöne, von blass bis kräftig. Und dieses Blau! Er füllt seine Lungen mit einem tiefen Atemzug, nimmt die kräftigen, lehmartigen Gerüche in sich auf.
Er hört Musik – Nina Simone – und sieht die Lautsprecher, die ganz hinten auf dem Boot aufgestellt sind. Sie richtet ein Mittagessen für ihn her. Sie hat ihn zu sich nach Hause eingeladen. Das Boot reitet auf einer Welle, und seine Hand greift nach der Reling.
Auf einmal denkt er: Wird er Dana davon erzählen? Natürlich wird er das. Es gibt nichts zu verbergen. Seine französische Privatlehrerin hat ihn zum Mittagessen auf ihr Hausboot eingeladen. Sie saßen an einem entzückenden Tisch im hinteren Teil des Boots, und sie hat ihm die Wörter für Blumen und Pflanzen und das Flussleben beigebracht. Er stellt sich vor, diese Geschichte bei einer Dinnerparty zu erzählen. Faszinierend! Und deine Frau hat dir diese französische Privatlehrerin geschenkt!
Dann denkt er an Lindy und ihre Reaktion auf Chantal. War sie eifersüchtig? Wollte sie ihre Mutter beschützen? Hatte sie Angst, Jeremy zu verlieren? Unmöglich. Er wird ihr versichern, dass seine Französischstunden zu Ende sind. Es gab keinen Grund zur Besorgnis.
Falls er es überhaupt erwähnen muss.
Er hört Chantal die Treppe hochkommen und nimmt seine Hand von der Reling.
»Es ist wundervoll hier«, sagt er, als sie wieder auftaucht, ein großes Tablett in den Händen.
Sie lächelt ihn an, ein so strahlendes Lächeln, wie er es noch nie gesehen hat. Sie ist zu Hause, denkt er. Sie ist dort, wo sie hingehört.
»Unser Mittagessen«, sagt sie schlicht.
Aber es ist alles andere als schlicht. Jeremy folgt ihr an den Tisch, wo sie das Tablett abstellt. Er sieht eine Flasche Rotwein und zwei Gläser, einen Teller mit einer Auswahl an Käse, einen Korb mit Brot, eine Untertasse mit Oliven und Cornichons, eine Schale mit aufgeschnittenen Äpfeln und Birnen. Jede einzelne Speise sieht vollkommen aus – oder vielleicht sieht Jeremy das Essen auch nur so, wie es gesehen werden sollte, fast wie eine Feier seiner selbst dargeboten. Die Teller und Schalen sind aus cremeweißer Keramik, ohne Design, die Serviette in dem Brotkorb ist blassrosa.
»Ein Festmahl«, sagt Jeremy.
Er hat gewaltigen Hunger. Er setzt sich auf einen der Stühle und bietet an, den Wein einzuschenken, während Chantal die Teller verteilt.
Dann nimmt sie ihm gegenüber Platz und erhebt ihr Glas.
Er stellt sich einen Trinkspruch vor – gestern Abend beim Dinner gab es fast ein Dutzend Trinksprüche – auf seinen und Danas Hochzeitstag, auf den Film, auf Frankreich, auf jemands neues Buch über Kunstkritik, auf die großartige Regisseurin.
Aber Chantal hält nur ihr Glas über den Tisch und stößt mit seinem an. Sie lächeln und
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