Einem Tag mit dir
Mutter. Sie …«, sagte ich und versuchte die Tränen zurückzuhalten, »sie verlässt meinen Vater.«
Westry legte mir den Arm um die Schultern und zog mich an sich, sodass mein Kopf an seiner Brust lag. Ich fühlte mich behütet und beschützt. »Das tut mir leid«, sagte er. Eine ganze Weile saßen wir schweigend da und hielten uns in den Armen.
Schließlich schaute ich Westry an. Er war hier. Er war bei mir. Jetzt. Und in diesem Moment spielte nichts anderes eine Rolle.
Seine Hände wanderten an meinen Armen hoch, über die Schultern zu meinem Hals und zu meinen Wangen. Dann beugte er sich vor. Ein ganz neues Gefühl regte sich in mir. Westry drückte seine Lippen ganz sanft auf meine. Es schmeckte köstlich. Dann zog er mich noch fester an sich, und im selben Augenblick war jeder Rest von Widerstand verflogen.
Westry hielt mich in den Armen und wiegte mich sanft. Es war der 27. November. Ein unbedeutendes Datum, nichts weiter als ein Feld im Kalender. Aber es war der Tag, der mein Leben ändern sollte. Der Tag, an dem ich begann, Westry zu lieben.
7
D ie Sonne brannte gnadenlos vom Himmel herab, was mir angesichts der Tatsache, dass Heiligabend war, ziemlich unfair vorkam. Zu Hause in Seattle war meine Mutter bestimmt gerade dabei, in der Eingangshalle einen gewaltigen Weihnachtsbaum zu schmücken. Ich konnte den Fichtenduft beinahe riechen, auch wenn alles nur Einbildung war, denn um mich herum waren nichts als Palmen, und meine Mutter war längst zu Hause ausgezogen. In ihrem letzten Brief hatte sie mir geschrieben, dass sie sich eine Wohnung in New York genommen hatte.
Ich musste daran denken, wie gut gelaunt mein Vater immer um die Weihnachtszeit war, wie er den Sternsingern Punsch anbot und ständig von Maxines Plätzchen naschte. Maxine . Immer wieder fragte ich mich, warum sie mir nicht schrieb. Aber Post kam jetzt ohnehin nur noch spärlich, und wir Frauen hofften jeden Nachmittag ungeduldig darauf, einen Jeep mit Briefen und Päckchen aus der Heimat vorfahren zu sehen.
Von Gerard hatte ich nichts mehr gehört, was mich am meisten beunruhigte. Einerseits kam mir sein Schweigen entgegen, weil es Raum für meine Gefühle für Westry ließ. Andererseits machte ich mir jeden Tag Sorgen um ihn, stellte mir vor, wie er auf einem kalten Schlachtfeld in der Fremde für Amerika kämpfte. Für mich kämpfte.
Kitty hatte Mr. Gelfmans Tod inzwischen verwunden, auch wenn sie nicht darüber redete. Sie verbrachte jetzt jede freie Minute mit Lance. Immer wieder schlich sie sich davon, um sich mit ihm zu treffen, und kam meist erst sehr spät zurück. Aber sollte ich mir anmaßen, sie deswegen zu verurteilen?
Und nun war plötzlich Heiligabend. Vor dem Kerzengottesdienst am Abend blieb mir noch Zeit, kurz zum Strand zu gehen, und so verdrückte ich mich, bevor Schwester Hildebrand von mir verlangte, dass ich ihr dabei half, eine neue Ladung Medikamente auszupacken.
Zu meiner Enttäuschung fand ich die Hütte leer vor. Westry war im vergangenen Monat dreimal zu einem Einsatz abkommandiert worden, und ich hatte ihn nur selten zu Gesicht bekommen. Ich schaute in unserem Briefkasten nach. Lächelnd nahm ich den Brief heraus, der unter der Bodendiele auf mich wartete.
Cleo mein Liebling!
Fröhliche Weihnachten! Es tut mir leid, dass wir uns in letzter Zeit kaum sehen konnten. Mein vorgesetzter Offizier gefällt sich offenbar in der Rolle des Sklaventreibers. Ich hatte gehofft, Dich heute Vormittag hier anzutreffen, als sich mir eine Gelegenheit bot, kurz zu verschwinden, aber leider hatte ich kein Glück. Also hinterlege ich hier Dein Weihnachtsgeschenk. Vielleicht werden wir ja irgendwann ein richtiges Weihnachten miteinander verbringen.
Dein Grayson
Mir kamen die Tränen, als ich die letzte Zeile noch einmal las. »Vielleicht werden wir ja irgendwann ein richtiges Weihnachten miteinander verbringen.« Ob es jemals dazu kommen würde? Die Vorstellung war erschreckend und aufregend zugleich. Hastig löste ich das rote Bändchen von der kleinen Schachtel, wickelte sie aus der Aluminiumfolie, die er sicherlich aus der Kantine entwendet hatte, und hob den Deckel an. Im schummrigen Licht der Hütte schimmerte ein goldenes, ovales Medaillon an einer kunstvoll gearbeiteten Halskette. Es war leer, aber auf der Rückseite waren die Worte Grayson und Cleo eingraviert.
Lächelnd legte ich mir die Kette um den Hals, dann nahm ich Zettel und Stift aus meinem Rucksack.
Mein lieber Grayson!
Danke für die Halskette. Sie
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