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Einem Tag mit dir

Einem Tag mit dir

Titel: Einem Tag mit dir Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: S Jio
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meinen Gefühlen bekannt. Diese Entscheidung hat alles geändert.
    Ich weiß nicht, ob Du je wieder mit mir reden wirst oder mich jemals wieder so ansehen wirst wie früher, aber ich bete darum, dass Dein Herz mir verzeihen wird. Dein Va ter und ich wünschen uns nichts sehnlicher als Deinen Segen.
    Nach dem Krieg werden wir nach Frankreich gehen und heiraten. Ich weiß, das klingt sehr merkwürdig, und es kommt alles sehr plötzlich.
    Lass ein wenig Zeit vergehen, meine liebe Antoinette. Denn irgendwann, so bete ich zumindest, werden wir wieder eine Familie sein können.
    In Liebe
    Maxine
    Der Brief glitt mir aus der Hand und fiel aufs Bett. Ich betrachtete die Bögen, die mit Maxines Handschrift gefüllt waren. Warum schrieb sie ihre Ls mit so einem seltsamen Aufstrich? Und dieses Briefpapier mit den ge prägten Rändern – es gehörte meiner Mutter. Was bildete diese Frau sich ein? Dass sie ab jetzt die Hausherrin war?
    Maxine und mein Vater. Das passte überhaupt nicht zusammen. Liebten sie sich etwa schon, seit ich auf der Welt war? Hatte meine Mutter davon gewusst? Kein Wunder, dass sie Maxine immer so grob behandelt hatte – die Geliebte ihres Mannes hatte mit ihr unter einem Dach gelebt. Meine arme Mutter! Wieso hatte ich nichts davon mitbekommen? Wie hatte ich so naiv sein können?
    Ich zerknüllte den Brief und warf ihn in den Papierkorb. Ich musste ihn nicht noch einmal lesen. Und ich wollte ihn auch nicht mehr sehen. Als ich in den Flur trat, erschrak ich selbst darüber, mit welcher Wucht ich die Tür hinter mir zuknallte.
    Wenn Kitty nicht kam, würde ich eben allein zum Gottesdienst gehen. Ich wollte auf keinen Fall an Heilig abend auf meinem Zimmer hocken und mir ausmalen, wie mein Vater und Maxine in trauter Eintracht zu Hause unterm Weihnachtsbaum saßen und Kastanien rösteten. Ich schüttelte den Kopf und ging hinunter in die Eingangshalle. Als ich gerade die Tür öffnen wollte, hörte ich ein Geräusch. Eine Schwester in einem der Zimmer im ersten Stock musste ein Radio aufgetrieben haben. Und was noch erstaunlicher war: Sie musste hier mitten im Südpazifik eine Funkfrequenz gefunden haben, auf der deutlich das wunderschöne Lied »O Holy Night« von Bing Crosby übertragen wurde. Ich bekam ganz weiche Knie, als ich der Musik lauschte, die mich wie eine trös tende, warme Brise umfing und mich an die Weihnachtsabende in Seattle erinnerte. Mit Punsch und Sternsin-gern. Mit einem mächtigen Christbaum in der Diele. Mein Vater, der am Kamin saß und rauchte. Meine Mutter, die Geschenke einpackte. Maxines Süßigkeiten. Und natürlich Gerard. Ich konnte Gerard nicht vergessen.
    »Da wird man ganz wehmütig, nicht wahr?«, sagte Stella hinter mir.
    Ich drehte mich um. »Ja, wirklich«, sagte ich. Wenn sie wüsste .
    Ihr Gesicht wirkte weicher im Dämmerlicht der Eingangshalle. Hatte die Insel sie verändert? »Aber irgendwie kommt es einem ganz komisch vor,« fuhr sie fort. »Kein Schnee. Nicht mal ein Weihnachtsbaum. Zum ersten Mal habe ich Heimweh. Ganz schlimmes Heimweh.«
    »Ich auch«, sagte ich und hakte mich bei ihr unter. Wir standen da und lauschten, bis das Lied zu Ende war und nur noch Rauschen aus dem Radio kam – der Moment war für immer verloren, verschluckt vom einsamen Pazifik.
    »Gehst du zum Gottesdienst?«, fragte Stella.
    »Ja«, erwiderte ich. »Ich bin eigentlich nur noch mal hergekommen, um Kitty abzuholen. Wir hatten vor, gemeinsam hinzugehen.«
    »Ach, beinahe hätte ich vergessen, es dir zu erzählen«, sagte sie.
    »Was denn?«
    »Kitty hat mich gebeten, dir auszurichten, dass es ihr schrecklich leidtut, aber Lance hat offenbar für heute Abend eine Weihnachtsüberraschung für sie geplant, deshalb kann sie nicht mitkommen.«
    »Sie ist mit Lance ausgegangen? An Heiligabend?«
    Stella zuckte die Schultern. »Du müsstest eigentlich mehr wissen als ich. Die beiden hängen doch ständig zusammen, oder? Jedes Mal, wenn ich Kitty hier auf dem Flur treffe, ist sie gerade unterwegs zu Lance. Lance hier, Lance da. Aber wenn du mich fragst, hat er ihre Gefühle nicht verdient. Der Mann ist gefährlich.«
    »Gefährlich?«
    »Ja«, sagte sie. »Das weiß doch jeder, dass er mit den einheimischen Mädels herummacht. Abgesehen davon ist der Mann cholerisch, ein wandelndes Pulverfass.«
    Ich erinnerte mich daran, wie Atea ihn auf dem Markt angesehen hatte und wie befremdlich mir sein Verhalten vorgekommen war. Aber von cholerischen Anwandlungen hatte ich nichts bemerkt. Konnte es

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