Einem Tag mit dir
Schlafzimmers gefunden und mit hierher gebracht hatte, fühlte sich warm und tröstlich an. Ich kam gar nicht auf die Idee, im Briefkasten nachzusehen. Westry war schließlich erst vor Kurzem zurückgekommen und konnte noch gar nicht hier gewesen sein. Jetzt hatte er sich in seinem Zimmer verkrochen und musste seine Wunden lecken. Beim Gedanken an Colonel Donahues Brutalität lief mir ein Schauer über den Rücken. Warum hatte er Westry so übel zugerichtet? Was auch immer der Grund gewesen sein mochte, ich war mir sicher, dass Westry so etwas nicht verdient hatte.
Ich setzte mich auf, lehnte mich gegen das Kopfkissen und zog den Brief von meiner Mutter aus der Rocktasche.
Meine liebe Anne!
Ich schreibe Dir schweren Herzens, weil ich diejenige bin, die Dir diese schreckliche Nachricht zukommen lassen muss. Glaub mir, ich habe lange überlegt, ob ich damit warten soll, bis Du zurückkehrst. Aber ich finde, Du solltest es schon jetzt erfahren.
Ich werde Deinen Vater verlassen. Die Umstände sind viel zu schwerwiegend, um sie in einem Brief darzulegen, aber Du sollst wissen, dass ich Dich auch trotz unserer Tren nung immer lieben werde. Ich werde Dir alles erklären, sobald Du wieder nach Hause kommst.
Möge Deine Ehe mit Gerard mehr von Liebe erfüllt sein als meine.
Ich habe Dich sehr lieb und hoffe, dass diese Nachricht Dich nicht allzu sehr trifft.
In Liebe
Deine Mutter
Ich spürte, wie mir die Tränen in den Augen brannten. Sie würde meinen armen Vater verlassen! Wie konnte sie ihm das nur antun? Möge Deine Ehe mit Gerard mehr von Liebe erfüllt sein als meine . Was sollte dieser Unsinn?
Draußen waren Schritte zu hören, dann quietschte die Eingangstür. Ich wurde ruhiger, als ich sah, dass es Westry war.
»Ich hatte gehofft, Sie hier anzutreffen«, sagte er lä chelnd.
»Wie sehen Sie denn aus!«, rief ich und hätte ihm am liebsten über die Wange gestreichelt. »Warum hat Colonel Donahue Ihnen das angetan?«
»Hören Sie«, sagte er bestimmt. »Ich möchte etwas klarstellen. Sie haben Colonel Donahue heute nicht gesehen.«
»Aber ich habe ihn doch …«
»Nein«, insistierte er, »haben Sie nicht.«
»Aber warum denn, Westry?«
Er wirkte gequält. »Bitte, erwähnen Sie den Vorfall nie wieder.«
»Ich verstehe überhaupt nichts mehr«, erwiderte ich stirnrunzelnd.
»Es muss sein«, sagte er. »Irgendwann werden Sie es verstehen.« Im Schein des Lichts sah ich, dass die Wunde in seinem Gesicht nicht unerheblich war.
»Ich bringe Sie besser zum Lazarett.«
Westry grinste verschwörerisch. »Warum denn, wo ich doch meine eigene Krankenschwester hier habe?«
Jetzt musste ich ebenfalls grinsen und griff nach meinem Rucksack. »Also gut. Ich habe alles Notwendige dabei.« Ich kramte im Rucksack, bis ich die kleine weiße Erste-Hilfe-Dose fand, und nahm das Nähset heraus. Als Erstes tränkte ich ein Stückchen Gaze mit Alkohol. »Es dürfte ein bisschen brennen«, warnte ich Westry.
Als ich seine Hand nahm, um ihn zum Bett zu führen, spürte ich wieder das vertraute Kribbeln. Aber es hatte ja nichts zu bedeuten, dass wir uns beide auf das Bett setzten. »Und jetzt«, sagte ich, »schön stillhalten.«
Elliot hatte recht gehabt. Die Platzwunde an Westrys Stirn war tief, und ich bezweifelte, dass ich in der Lage war, sie zu nähen. »Das sieht ziemlich übel aus«, murmelte ich und betupfte die Wunde mit der Gaze. Westry zuckte zusammen, sagte jedoch nichts.
»Hören Sie«, sagte ich nervös, »im Lazarett haben wir Salbe für eine örtliche Betäubung. Lassen Sie uns rübergehen. Dann wird es weniger schmerzhaft.«
Ich wollte schon aufstehen, aber Westry nahm meine Hand und zog mich wieder zurück aufs Bett. »Nein«, sagte er. »Ich möchte hierbleiben.«
Sein Blick war voller Zärtlichkeit. Ich nickte und nahm das Nähset. »Also gut, aber es tut bestimmt weh.«
Westry hielt den Blick starr auf die Wand gerichtet, während ich die Wunde nähte. Drei Stiche reichten aus, um sie zu schließen. Ich verknotete den Faden und schnitt ihn ab. »So, fertig«, sagte ich. »War gar nicht so schlimm, oder?«
Westry schüttelte den Kopf. »Sie sind ein Naturtalent, Cleo Hodge«, sagte er scherzhaft und schaute mir in die Augen. Ich lächelte, dann wandte ich mich ab.
»Sie haben geweint«, sagte er. »Warum?«
Ich musste wieder an den Brief von meiner Mutter denken. »Ein Brief von zu Hause. Schlechte Nachrichten.«
»Was denn für Nachrichten?«
Ich zögerte. »Es war ein Brief von meiner
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