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Einem Tag mit dir

Einem Tag mit dir

Titel: Einem Tag mit dir Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: S Jio
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unendlich traurigen Augen an. »Ich bin schwanger.«

10
    I ch schnappte nach Luft und stürzte zu ihrem Bett. » Ach, Kitty!«, rief ich kopfschüttelnd.
    »Ich weiß es schon seit einer ganzen Weile«, sagte sie mit Tränen in den Augen. »Ich hatte solche Angst, es dir zu erzählen.«
    »Aber warum denn?«
    Sie atmete tief aus. »Einerseits, weil ich es mir selbst nicht eingestehen wollte, und andererseits, weil ich wusste, dass du von mir enttäuscht sein würdest.«
    »Ich? Enttäuscht?« Ich strich ihr eine Strähne aus der Stirn. »Nein, es tut mir nur leid, dass du das allein mit dir rumgetragen hast.«
    Kitty drückte ihr Gesicht an meine Schulter und weinte so heftig, dass ihr ganzer Körper bebte. »Ich weiß überhaupt nicht, was ich machen soll«, schluchzte sie. »Sieh mich doch bloß an.« Sie zeigte auf ihren Bauch, der unübersehbar angeschwollen war. »Seit Monaten trage ich einen Hüftgürtel, um es zu verbergen, aber bald werden es alle sehen. Das Kind kommt schon in einem Monat, vielleicht sogar noch eher.«
    Mir blieb die Luft weg. »Wir müssen mit Schwester Hildebrand reden«, sagte ich.
    »Nein!«, flehte Kitty mich an. »Nein, bitte nicht, Anne!«
    »Es bleibt uns gar nichts anderes übrig«, entgegnete ich. »In deinem Zustand kannst du nicht so viele Stunden arbeiten. Und wir müssen Vorbereitungen für die Geburt treffen.«
    Kitty wirkte verängstigt und verloren. Ich sah ihr an, dass sie sich über das, was ihr bevorstand, noch gar keine Gedanken gemacht hatte – dass sie auf einer Insel, die Tausende von Meilen von ihrem Zuhause entfernt lag, ein uneheliches Kind zur Welt bringen würde, in Schande, mit einer unsicheren Zukunft vor sich.
    »Also gut«, lenkte sie schließlich ein. »Wenn du meinst, dass es das Beste ist, dann sag’s ihr. Aber ich will nicht dabei sein.«
    Ich gab ihr einen Kuss auf die Stirn und lächelte sie an. »Das brauchst du auch nicht«, versicherte ich ihr. »Ich kümmere mich um alles.«
    Am nächsten Tag gab es kaum eine Gelegenheit, auch nur eine Minute mit Schwester Hildebrand allein zu sprechen, aber in der letzten Stunde meiner Schicht erwischte ich sie endlich im Magazin.
    »Schwester Hildebrand«, sagte ich und schloss die Tür. »Kann ich kurz mit Ihnen reden?«
    »Ja, Anne«, sagte sie, ohne von der Kiste aufzublicken, die sie gerade öffnete. »Aber fassen Sie sich kurz, ich muss zurück.«
    »Danke«, sagte ich. »Es geht um Kitty.«
    Schwester Hildebrand nickte. »Ich weiß«, sagte sie.
    »Wie meinen Sie das?«
    »Ihre Schwangerschaft«, sagte sie, ohne eine Regung zu zeigen.
    »Ja, aber …«
    »Anne, ich bin schon so lange Krankenschwester. Ich habe bei Geburten geholfen und habe selbst Kinder zur Welt gebracht. Ich kenne mich aus.«
    Ich nickte. »Sie braucht Ihre Hilfe«, sagte ich vorsichtig. »Das Kind kommt bald zur Welt, und sie kann nicht weiterhin so hart arbeiten.«
    Zum ersten Mal schien eine Veränderung in Schwester Hildebrand vor sich zu gehen. Ihr Gesichtsausdruck wurde so weich, wie ich es noch nie bei ihr erlebt hatte. »Richten Sie ihr aus, sie soll sich keine Sorgen machen wegen der Arbeit. Wenn die anderen Fragen stellen, werde ich sagen, sie habe sich mit dem Fieber angesteckt, das hier um geht, und dass sie in Quarantäne bleiben müsse. Sie werden ihr die Mahlzeiten aufs Zimmer bringen müssen. Schaffen Sie das?«
    »Ja«, sagte ich. »Selbstverständlich.«
    »Und wenn es so weit ist, rufen Sie mich.«
    Ich nickte. »Aber was wird aus dem Kind, wenn es erst einmal …«
    »Ich kenne ein Missionarsehepaar, die beiden werden das Kind sicherlich aufnehmen«, fiel sie mir ins Wort. »Sie wohnen hinter dem Berg, auf der anderen Seite der Insel. Es sind anständige Leute. Ich werde gleich morgen mit ihnen reden.«
    »Danke, Schwester Hildebrand«, sagte ich. Ich war so gerührt, dass mir die Tränen kamen. »Ich hätte nie gedacht, dass Sie so …«
    »Genug«, sagte sie. Sie hatte wieder den strengen Gesichtsausdruck aufgesetzt, der mir so vertraut war. »Gehen Sie wieder an Ihre Arbeit.«
    Der Tag, an dem Mary die Insel verließ, war für uns alle traurig, vor allem für Kitty, die auf ihrem Zimmer bleiben musste und sich nicht zusammen mit uns anderen auf dem Rollfeld von ihr verabschieden konnte.
    Die Insel war zu Mary grausam gewesen, viel grausamer als zu uns anderen. Sie hatte ihr die Malaria eingebracht, ihr um ein Haar das Leben geraubt und schließlich das Herz gebrochen.
    »Mach’s gut, meine Liebe«, sagte Stella

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