Einen solchen Himmel im Kopf: Roman (German Edition)
Dachstuhls. Dort, wo sie ihre nackten Füße aufsetzt,fällt die Ascheform ein, und glühende Kohlepartikel wirbeln auf. Sie hat Gewicht. Am Ende des Balkens bleibt sie stehen. Ihr Gesicht ist genauso glatt und durchscheinend und ausdruckslos wie ihr Körper. Mein Blick gleitet daran ab, ihre Arme entlang. Ich habe mich wieder der Ebene, den rauchenden Holzbalken zugewandt, da sehe ich aus den Augenwinkeln ihre Fäuste. Es sind Menschenfäuste aus Fleisch, hervortretenden Adern und Knöcheln, sie hängen wie schwere Gewichte an diesem Luftkörper und öffnen sich langsam, beinahe unmerklich, wie klobige Fleischblüten. Für einen Moment betrachte ich die zerfurchten Handinnenflächen. Es sind Frauenhände, aber keine Eleganz, keine Zartheit, gedrungene Frauenhände, die im Winter nicht von Handschuhen geschützt werden, die, ohne zu zögern, in brühheißes Essigwasser tauchen, Hände, von denen silbrig schuppende Haut rieselt, zerarbeitete, vertrauenerweckende Hände, die jetzt aufreißen. Zuerst nur ein Schnitt in der Mitte, der zwischen den roten Furchen der Handinnenflächen kaum zu sehen ist, dann klafft der Schnitt, wird zur Wunde, aus der Blut fließt. Doch ehe die Rinnsale über die Hand auf den Boden tropfen, schießen aus der Wunde rote Anemonen nach. Die Anemonen überwuchern zuerst die Hände, dann den Rest des Körpers, schließlich auch das Gesicht des Mädchens. Ich überblicke wieder die Ebene, schwarz, braun, grau. In der Mitte brennt ein Anemonenfeld.
Wir lagen auf den warmen flachen Steinen am Wasserfall, als Johanna mir ihren Traum erzählte. Der Himmel war beinahe aquamarinblau, ohne Wolken, das Licht vom Tropfengeschwader des Wasserfalls gebrochen und so hell, dass wir die Augen zusammenkniffen und nach einigen Minuten, wenn die Wärme der Steine uns schwer und träge gemacht hatte, ganz schlossen.
»Hast du mir überhaupt zugehört?«, fragte Johanna.
Ich hatte ihr zugehört, hatte versucht, mir die düstere Ebene und eine Helligkeit vorzustellen, die mehr war als die Abwesenheit des Dunkels. Ich hatte es nicht geschafft, mir die Helligkeit des Mädchens aus Johannas Traum vorzustellen. Ich driftete ab. Ich dachte an die Schatten der Sportbuben, die Schatten ihrer Oberkörper auf dem Asphalt, wenn sie mit ihren Fahrrädern an uns vorbeijagten, ich dachte an den Brahmanen. Immer wieder schaute ich hoch zu dem Absatz in der Felswand, jeden Tag war ich aufgeregt und hoffte, er würde wieder dort sitzen, jeden Tag versuchte ich, mir vor Johanna nichts anmerken zu lassen.
»Was meinst du, ob er nachts draußen schläft?«
Im Gegensatz zu mir war Johanna immer geistesgegenwärtig, sie verstand sofort, dass ich von ihm sprach, und fragte ernst: »Wie kommst du darauf?«
»Findest du nicht, dass sein Haar staubig aussieht,und sein Parka, die Jeans, alles wirkt so knittrig, zerlegen?«
»Weißt du, Annemut, was ich glaube? Ich glaube, er schläft nicht, nicht so wie wir. Ich glaube, er schläft mit geöffneten Augen«, sprach sie und fügte nach einer kurzen Pause, in der sie sich den Brahmanen zu vergegenwärtigen schien, hinzu: »auf einer Säule stehend.«
Ich versuchte mir das vorzustellen. Es ließ sich sehr gut vorstellen. Ich war dabei, es für möglich zu halten, doch Johanna verdrehte die Augen.
»Annemut! Du hältst es tatsächlich für möglich, dass er, auf einem Bein stehend, mit offenen Augen die Nächte auf einer Säule verbringt?«
»Nicht auf einem Bein stehend«, entgegnete ich, und Johanna lachte laut. Sie hatte eine dreckige Lache, die überhaupt nicht zu ihr passte.
»Sky?«, fragte sie.
»Ja, Sky«, sagte ich.
Und dann im Wald, nach langem Schweigen, sagte sie: »Mein Traum, du hast nicht zugehört, oder?«
Es klang nicht vorwurfsvoll oder wütend, nur enttäuscht.
»Doch, schon, ich habe zugehört. Ich weiß nur nicht, was ich dazu sagen soll. Es ist eben ein Traum.«
»Ja, du hast recht, lohnt sich nicht, drüber nachzudenken.«
Doch sie dachte darüber nach, natürlich, so wie ichan den Brahmanen dachte, was sich genauso wenig lohnte. Die gemeinsamen Nachmittage wurden lang und bedrückend. Ich hatte das Gefühl, in ihnen festzustecken, während alles in mir hinausdrängte. Ich wurde ungeduldig und ungerecht. Johannas überirdische Probleme und Träume fingen an, mir auf die Nerven zu gehen, etwas musste geschehen, und als mein Vater, über meine Mutter vermittelt, mitteilen ließ, dass die anstehenden Klassenfahrten auch nicht umsonst seien und ich mir, statt
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