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Einen solchen Himmel im Kopf: Roman (German Edition)

Einen solchen Himmel im Kopf: Roman (German Edition)

Titel: Einen solchen Himmel im Kopf: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lew Tolstoi , Stephanie Gleißner
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den ganzen Tag bei den Lugers rumzulungern, etwas Geld hinzuverdienen solle, war mir das gerade recht. Ich nahm für die Sommerferien einen Job als Zeitungsausträger an.
    Johannas Reaktion überraschte mich.
    »Ziehst du dann aus dem Gartenhaus aus?«, fragte sie erschrocken.
    »Na ja, ich muss dann schon sehr früh aufstehen, ich möchte dich nicht aufwecken.«
    Sie war bestürzt, Das Leben der Heiligen rutschte ihr von den Knien und schlug dumpf auf dem Boden auf.
    »Willst du nichts mehr mit mir zu tun haben? Willst du mich loswerden?«
    Es klang wie die Fragen, die sie in der Schule stellte, sachlich und unterkühlt, doch sie hatte Tränen in den Augen. Ich hatte Johanna so noch nie gesehen.
    »Nein, ich will dich nicht loswerden, überhaupt nicht, ich möchte nur ein bisschen Geld verdienen.«
    Das beunruhigte sie noch mehr.
    »Gehst du denn weg?«, fragte sie panisch.
    Ich war perplex.
    »Nein! Wieso das denn? Ich möchte einfach ein bisschen Geld sparen für nach dem Abitur.«
    »Für nach dem Abitur?«, wiederholte sie ungläubig.
    »Ja, ich möchte vielleicht eine Reise machen.«
    »Kann ich mitkommen?«, kam es wie aus der Pistole geschossen.
    »Klar, wenn du willst – bei was jetzt noch mal? Beim Austragen oder auf die Reise?« »Bei beidem, wenn’s geht«, antwortete sie.

10.
    Die Packen der druckfrischen Zeitungen waren zu einer Pyramide gestapelt. »Wie Scheiterhaufen«, bemerkte Johanna. Sie belud das Wägelchen, während ich neben ihr stand, vor mich hin gähnte. Auf den sternförmig um den Feuerwehrvorplatz angeordneten Straßen schwoll das Klackern der Zeitungsausträgerwägelchen an. So früh am Morgen hatten sie bereits einen langen Weg hinter sich. Es war noch Nacht gewesen, als sie aus ihrem Bau, einem Betonverschlag mit Einzimmerwohnungen, gekrochen waren.
    Einzimmerwohnungen widersprechen dem Geist des Hinterlands, in dem Gemeinschaft großgeschrieben wird. Es gibt nur wenige. Die Zeitungsausträger leben in ihnen wie in Schuhschachteln. Liebevoll präpariert mit Luftlöchern, Stroh, Heu und einem angebissenen Stück Apfel tragen Grundschüler ihre Nagetiere in diesen Schachteln zur Schule oder zu Grabe. Der Einzimmerwohnungskomplex ist noch hinter den Soldatenwohnungen angesiedelt, dort, wo das Hinterland in ein hässliches Stückchen Niemandsland mit morschen Kinderschaukeln übergeht, an denen sich im Frühjahr die abgehenden Lawinen ausbremsen. Ich mochte die Zeitungsausträger sofort. Sie grüßten wortlos mit Kopfnicken, zogen laut Rotz hoch und spuckten aus. Sie hatten wie ich Hautausschlag, nur dass ihrer nässte. Sie waren nicht schön anzusehen. Sie wussten das. Ich schaute immer nur verstohlen zu ihnen hinüber, während des kurzen Moments, wenn sie den Kopf hoben, um den Straßenverlauf auf Hindernisse zu überprüfen. Sie sahen so aus, als seien sie einer ständigen Versuchung ausgesetzt, der sie sich mit einem verwachsenen, bis zum Zerbersten angespannten Körper und einem abwesenden Ausdruck in ihren ramponierten Gesichtern entgegenstemmten. Auch die Art, wie sie ihr Wägelchen schoben – mutwillig, immer mit zu viel Kraft, immer mit Brutalität –, unterschied sie schon auf den ersten Blick von uns Sommerferienzeitungsausträgern.Wenn sie, neben uns kniend, ihr Wägelchen bepackten, brachen wir sofort unsere Gespräche ab. Wir schämten uns.
    Ich gaffte ihnen hinterher, sie würden sich nicht umdrehen, das war sicher, sie beschritten die ihnen bestimmten Straßen zielstrebig wie Roboter. Sie hatten einen Stern gesehen.
    »Annemut? Annemut! Wir müssen los!«
    Johanna war auch beim Zeitungsaustragen darauf bedacht, alle Vorgänge durch Überlegungen und Vorbereitungen im Vorfeld zu optimieren. Noch vor unserem ersten Austragetag hatte sie sich mit unserem Bezirk vertraut gemacht. Sie kannte alle Hauseingänge, wusste, wo die versteckten Briefkästen zu finden waren, und hatte auch schon die Liste der Haushalte, die eine andere Tageszeitung abonniert hatten, auswendig gelernt. Sie schob das Wägelchen. Wir stellten es in der Mitte der Straße ab. Johanna teilte rechts aus, ich links. Unser Bezirk erstreckte sich über die Straßen rund um den Bahnhof. Die Häuser standen hier dicht beieinander. Wir flitzten zwischen den Briefkästen und der Straße hin und her. Oft musste ich ein paar Schritte zurücklaufen, weil Johanna schneller war und das Wägelchen schon weiter vorgeschoben hatte. Ihr sportlicher Ehrgeiz steckte mich an. Ich erwog, mit dem heimlichen Rauchen

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