Einen Stein für Danny Fisher: Roman
werden sie's doch herausbekommen. Dann müßtest auch du darunter leiden."
Sie beugte sich zu mir und strich mir leicht über die Wange. "Du bleibst hier, Danny", sagte sie ruhig, "du bleibst hier und wirst gemeinsam mit Ben arbeiten. Er braucht eine Hilfe, denn er kann das Geschäft nicht allein führen."
"Wenn mich aber jemand erkennt?" fragte ich.
"Niemand wird dich erkennen", sagte sie mit Überzeugung, "Coney Island ist so weitläufig, im Sommer kommen über eineinhalb Millionen Menschen her, und in einer Menschenmenge kannst du dich am besten verbergen. Sie werden nie auf die Vermutung kommen, daß du hier bist."
Ich starrte sie an. Was sie sagte, war zweifellos vernünftig. "Was geschieht aber mit dir?" fragte ich. "Er wird doch bestimmt wissen wollen, wo du die vergangene Nacht gewesen bist. Was wirst du ihm sagen?"
"Nichts", sagte sie entschieden. "Schließlich hat jeder Angestellte das Recht, sich einen Tag freizunehmen. Wenn er mich fragen sollte, was ich getan habe, dann werde ich ihm sagen, daß ich meinen Bruder besucht habe. Er weiß, daß ich ihn jede Woche besuche."
Jetzt war es an mir, neugierig zu sein. "Weiß dein Bruder etwas über Maxie?"
Sie nickte mit abgewandtem Blick. "Er glaubt, daß ich Maxies Privatsekretärin bin. Und zuvor, glaubt er, habe ich als Modell gearbeitet." Sie sah mich wieder mit einem flehenden Blick an. "Als er vor fünf Jahren, nach seinem Unfall, erfuhr, daß er einen Arm und ein Bein verloren hatte, wollte er sterben. Er glaubte, nie mehr eine Arbeit finden zu können und daß er mir ständig zur Last fallen werde. Wir sind der Rest unsrer Familie. Es geschah in dem Jahr, in welchem ich maturierte. Ich sagte ihm, er solle sich keine Sorgen machen und daß ich arbeiten und ihn erhalten würde, bis er wieder wohl genug ist, um selbst etwas zu verdienen. Genauso wie er mich erhalten hatte, nachdem unser Vater gestorben war. Ich würde schon einen Job finden "
Sie sah mich mit einem freudlosen Lächeln an. "Ich war damals noch ein naives Kind. ich ahnte nicht, wieviel Geld wir für Medikamente und Ärzte benötigen würden, und ich wußte nicht, wie lächerlich wenig man Sekretärinnen und Stenotypistinnen bezahlt. Die fünfzehn Dollar wöchentlich reichten nicht einmal, um den kleinsten Teil der Kosten zu decken. Meine erste Anstellung war bei einem Vaudevilletheater-Agenten. Ich lernte rasch, und als ich nach einigen Wochen zu meinem Boss ging und um eine Gehaltserhöhung bat, lachte er mich bloß aus. Ich verstand ihn nicht und fragte, weshalb er lache.
"Sie sind zwar ein kluges Kind", sagte er, "aber ich kann's mir nicht leisten, Ihnen mehr zu zahlen."
"Aber ich brauche das Geld", rief ich.
Er überlegte einen Moment, dann kam er um den Schreibtisch herum. "Wenn Sie's wirklich so dringend brauchen", sagte er, "dann kann ich Ihnen zu einer ordentlichen Bezahlung verhelfen."
"Wie?" fragte ich. "Ich will alles tun, denn ich brauche das Geld!"
"Heute abend ist eine Party", sagte er, "einige Freunde kommen in die Stadt und haben mich gebeten, ihnen für den Abend ein paar nette Mädchen zu schicken. Sie zahlen zwanzig Dollar."
Ich starrte ihn an. Ich glaube, ich habe gar nicht verstanden, was er in Wirklichkeit meinte, aber zwanzig Dollar sind eine Menge Geld. Ich ging also zu der Party. Bisher hatte ich etwas Derartiges noch nicht gesehen. Ich war eben im Begriff wegzugehen, als mein Boss eintrat und mich steif an der Wand lehnen sah. Er lächelte mir verständnisinnig zu und brachte mir einen Drink. Darauf fühlte ich mich wesentlich besser und gelöster. Ich trank noch mehr davon. Und dann erinnere ich mich, mit ihm in ein anderes Zimmer gegangen zu sein.
Als ich am Morgen erwachte, befand ich mich allein in einem unbekannten Zimmer und hatte entsetzliche Kopfschmerzen. Ich taumelte blindlings aus dem Bett und suchte meine Kleider. Sie lagen auf einem Sessel. Ein weißes Blatt Papier war angeheftet: "Du kannst heute etwas später kommen", las ich. Und unter dem Papier befand sich eine Zwanzig-Dollar-Note. Jetzt war ich also eine Professionelle. Ich betrachtete mich im Spiegel. In meinem Gesicht war keine Veränderung zu entdecken, und auf meiner Stirn befand sich kein roter Buchstabe. Nichts hatte sich verändert als die Tatsache, daß ich jetzt einen Weg kannte, mir zwanzig Dollar zu verdienen, wenn ich sie brauchte. Und im Laufe der Zeit brauchte ich sie sehr oft."
Sie erhob sich und sah auf mich herab. Ihr Gesicht war unbewegt, ihre Stimme klang matt und
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