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Einer kam durch

Titel: Einer kam durch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: von Werra Franz
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ausgeschlossen. Es war lange nach Mitternacht, als er auf dem Polizeirevier ankam.
    Zwei Stunden lang hing alles an einem seidenen Faden. Der Paß war zweifellos echt. Doch dann entschied das Schicksal gegen den Chief. Der vernehmende Polizeiinspektor wollte ganz sicher gehen. Er rief die ›Duchess of York‹ an, und der Teufel wollte es, daß der rechtmäßige Inhaber des Passes, der Master of Arms A. Wood, zufällig an Bord war. Da gab der Chief es schließlich auf.
    »Legt ihm Handschellen an«, sagte der Inspektor.
    Der Chief trat einen Schritt zurück. »Ich bin deutscher Offizier!«
    »Will dir sagen, was du bist. Ein Hunne!« sagte der missgelaunte Streifenpolizist, den der Chief bei seinem ersten Besuch in seinem Nachtquartier an der Nase herumgeführt hatte. Der Mann nahm die Handschellen aus dem Regal und trat auf ihn zu. Der Chief wich zurück bis zur Wand. Als der Kanadier mit Gewalt seine Hand packen wollte, stieß er ihn zurück. Der Polizist warf die Handschellen auf den Boden und stürzte sich auf ihn. Der Chief gab ihm einen Schwinger auf die Nase …
    Als er wieder zu sich kam, lag er im Gefängnis von Halifax. Sein Schädel brummte, sein linkes Auge war zugeschwollen, seine Lippe hatte einen Riß. Als er sich erheben wollte, stellte er fest, daß er offenbar auch eine Rippe gebrochen hatte.
    Er wurde am gleichen Tag mit den Offizieren der ›Duchess of York‹ und dem echten Master of Arms oder Bootsmann Arthur Wood konfrontiert. Arthur Wood gebrauchte hässliche Ausdrücke, weil er seinen Anzug wiederhaben wollte. Doch die Polizei konnte ihren Gefangenen nicht gut in Unterhosen durch halb Kanada reisen lassen. Der Chief durfte den blauen Kammgarnanzug behalten und machte als Einzelgefangener in Bewachung zweier grimmiger Polizisten die Reise nach ›Camp W‹ bei der Stadt Schreiber in Zentralkanada.
    Seine erste Frage dort war: »Wo ist Franz von Werra?«
    Die Kameraden grinsten. »Wir haben nichts mehr von ihm gehört.«
    »Na, sie werden ihn schon bringen«, sagte der Chief grimmig.
    Aber er hatte sich geirrt …
    ***
    Der Gefangenentransport hatte Halifax gegen zehn Uhr abends am 21. Januar 1941 verlassen. In dem Sonderzug der ›Canadian Pacific‹ saßen rund tausend deutsche Gefangene und etwa zweihundert Wachmannschaften der kanadischen ›Veteran Guard‹, die bereits im Ersten Weltkrieg gedient hatten.
    Kurz nach der Abfahrt erschien ein kanadischer Offizier in den Waggons. Er erkundigte sich nach einem Dolmetscher und verlas dann einen Befehl, der ins Deutsche übersetzt wurde.
    »Die Gefangenen dürfen ihre Waggons während der ganzen Fahrt nicht verlassen. Sie dürfen tagsüber in ihren Wagen umhergehen, doch darf dies immer nur ein Mann aus jedem Abteil. Wer auf die Toilette muß, hebt die Hand und wartet, bis ihn der Posten hinführt. Es ist streng verboten, an den Verschlüssen der Doppelfenster herumzuspielen oder gar eines der beiden Fenster zu öffnen. Wenn dies von einem Gefangenen versucht wird, wissen die Posten, was sie zu tun haben. Nachts ist das Umhergehen im Abteil überhaupt verboten. Den Offizieren werden die Mahlzeiten von Soldaten in den Abteilen serviert …«
    »Das Interessante an diesem Befehl«, sagte Werra und blickte sich um, »ist, daß er deutlich die schwachen Punkte dieses Wagens verrät: die Fenster und die Toiletten.« Er hatte recht. Die Fenster waren die einzige Fluchtmöglichkeit. Der Wagen hatte einen Mittelgang, an den sich auf beiden Seiten Abteile anschlossen, die offen waren. Nachts konnte man die gepolsterten Sitzbänke und die großen, herausziehbaren Gepäckkästen über den Fenstern in Schlafkojen verwandeln. Infolgedessen waren die Fenster niedrig gehalten. Sie bestanden aus Doppelscheiben, die in Schieberahmen saßen.
    »Mich interessiert im Augenblick der Schluß des Befehls am meisten«, sagte Wilhelm. »Die Sache mit den Mahlzeiten. Hoffentlich gibt es heute noch etwas. Mir dampft seit Stunden der Kohl …«
    Wilhelm brauchte nicht mehr lange zu hungern. Er hatte sehr bald Gelegenheit, festzustellen, daß die Verpflegung in Kanada besser war als in dem belagerten England. Soldaten klappten die kleinen Tische unter den Fenstern auf und servierten das Abendessen: Weißbrot, mit Butter bestrichen, weiße Bohnen in Tomatensoße, dazu große Stücke gebratenen Schweinebauch. Hinterher Kaffee, heißer, bocksteifer Bohnenkaffee mit Sahne und Zucker.
    Dies geschah etwa zur gleichen Zeit, als der ›Chief‹ frierend und ohne Mantel durch

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