Einer kam durch
genau von Norden nach Süden am Lager vorbei. Beim Abmarsch weiß niemand von uns, ob es diesmal nach Norden geht – bergan und über das Ödmoor – oder nach Süden und in Richtung auf das kleine Dorf unten im Tal.
Die Entscheidung, in welcher Richtung marschiert werden soll, scheint von der Laune des berittenen Sergeanten abzuhängen. Jedenfalls sind wir schon an zwei aufeinander folgenden Tagen in der gleichen Richtung marschiert.
Einerlei aber, ob es nach Norden oder nach Süden geht – die Routine bleibt sich immer gleich. Zuerst müssen wir in ziemlich scharfem Tempo zu einer drei Kilometer entfernten Wegbiegung marschieren. Dort wird Halt und zehn Minuten Pause befohlen. Anschließend geht es ins Lager zurück. In jedem Fall wird die Pause an einer Wegbiegung gemacht, weil es dabei leichter ist, die Gefangenen im Auge zu behalten.
Seitdem ich hier bin, habe ich alle Ausmärsche mitgemacht, nach Norden und nach Süden. Während des Marsches ist die Bewachung und die Marschdisziplin streng. Wir marschieren in Dreierreihen. Der Sergeant reitet pausenlos die Reihen ab und trabt um die ganze Kolonne herum. Trotzdem ist es möglich, daß jemand von einer Reihe in die andere überwechselt, ohne daß es bemerkt wird. Wenn zum Beispiel der Linksaußen einer Reihe in die nächste übertritt und dafür der rechts gehende Mann zurücktritt, fällt das gar nicht auf. Ich habe es selber versucht und bin dabei unbemerkt durch die ganze Kolonne gewandert …
An der Straßenbiegung auf der Nordroute ist nur ein Stacheldrahtzaun und nicht die geringste Deckung. Ich glaube aber, daß die Stelle, an der wir auf der Südroute halten, es einem einzelnen durchaus möglich macht, zu entwischen. Hauptmann Pohle und Kapitänleutnant Lott kennen den Platz, den ich meine.«
Die beiden Offiziere nickten.
»Etwa fünfhundert Meter nach dem kleinen Dorf zu biegt die Straße etwas nach rechts ein«, fuhr Werra fort, »und genau in dem Straßenknick ist auf der linken Seite ein Viehdurchlaß mit fünf Balken. Daran anschließend beginnt einer dieser niedrigen Wälle, die hier fast alle Weiden abschließen. Der Wall ist auf der Straßenseite etwa brusthoch und besteht aus flachen Steinen, die einfach aufeinander geschichtet sind. Rechts von der Straße ist bewaldetes Gelände. Die Weide hinter dem Steinwall liegt etwas tiefer als die Straße.
Soviel über die Situation. Sobald die Kolonne an dieser Straßenbiegung angekommen ist, ruft der Sergeant ›Halt!‹ Die Gefangenen gehen an den Wall heran, um auszuruhen. Einige lehnen sich dagegen, andere legen ihre Röcke obenauf und setzen sich darauf.
Gleich nach dem Befehl ›Halt‹ stellen sich die Wachmannschaften auf der rechten Straßenseite auf, weil es von dort aus leichter ist, die Gefangenen im Auge zu behalten. Nun liegt auf der Waldseite der Straßenbiegung ein großer Felsblock. Von hier aus pflegt der Sergeant seinerseits den ganzen Haufen zu beobachten.
Es sind also alle Bewachungsmannschaften auf der rechten – und alle Kriegsgefangenen auf der linken Seite der Straße. Und, meine Herren, die Rückseite – also die von der Straße abgewandte Seite – der Steinmauer kann von den Tommies nicht eingesehen werden!
Zwar kann man von der Straßenbiegung ziemlich weit den Verlauf der Straße nach Süden verfolgen, aber erstens kann das nur ein Teil der Bewachung, und zweitens hat die Straße eine Stelle, die man überhaupt nicht einsehen kann. Sie fällt hier nämlich ab und macht gleichzeitig einen kleinen Bogen.
Wenn ein Mann ungesehen von der Steinmauer auf die dahinterliegende Weide rollen kann, ist es möglich, hinter dem Schutz der Mauer bis zu der Stelle zu laufen, an der die Straße nicht eingesehen werden kann. Hier rasch wieder über die Mauer zurück, über die Straße und in den gegenüberliegenden Wald … und alles, ohne daß man den Tommies ins Blickfeld läuft!«
Werra hatte sich in Eifer geredet.
»Das ist also mein Plan: Sobald die Kolonne hält, hängen zwei Mann ihre Röcke über die Mauer, so daß sie teilweise übereinander liegen. Ich bin in diesem Augenblick schon an dieser Stelle und werde sofort von acht der größten und dicksten Kameraden umgeben, die mich für einen Augenblick völlig vor den Tommies abdecken. Ich setze mich auf die Mauer und lege mich dann so flach wie möglich auf die Röcke. Die Röcke sind notwendig, weil sie verhindern, daß vielleicht ein loser Stein zu Boden poltert.
Einer der vor mir stehenden Kameraden
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