Einer kam durch
Wartet nur ab, bis die Fünfundachtziger kommen …«
Werra drehte sich überrascht um. »Moment«, unterbrach er den andern. »Sagten Sie nicht eben ›Fünfundachtziger‹?«
»Ja«, erwiderte der U-Bootmann. »Was Verkehrtes dabei?«
»Nein – nur daß uns die Vernehmungsbullen acht Tage lang verrückt gemacht haben mit ihrem: Was sind die Fünfundachtziger? Keiner von uns wußte es. Ist es eine Geheimwaffe? Wissen Sie etwas Genaueres?«
Die U-Bootmänner lachten aus vollem Halse. »Sie meinen, in Cockfosters ist man nervös wegen der Fünfundachtziger?«
»Nervös? Die Kerle waren geradezu hysterisch. Was ist es? Eine Rakete? Ein Kampfgas?«
»Die Fünfundachtziger«, sagte der Mariner, »sind leider keine Geheimwaffe. Sie sind der Marineausdruck für Infanterie. So benannt nach dem 85. Infanterieregiment, das zu Kaiser Wilhelms Zeiten in Kiel lag, Jedermann vom Heer ist seitdem bei uns ein Fünfundachtziger. ›Fünfundachtziger mit Strickleiter‹ waren die Husaren, ›Fünfundachtziger mit Schraubenschutz‹ die Dragoner, ›Fünfundachtziger mit künstlichem Horizont‹ die Ulanen – wegen ihres komischen Helms. Die kaiserliche Garde hieß im Marinegebrauch ›Fünfundachtziger mit Schwabber‹ – wegen ihres Helmputzes, der von weitem wie ein Marine-Putzfeudel aussieht. Na, und so weiter …«
Das also war des Rätsels Lösung. Irgendein gefangener Marineoffizier hatte in ein geheimes Abhörmikrophon den ominösen Satz gesprochen: Wartet, bis die Fünfundachtziger kommen. Er meinte damit: Wartet, bis die deutsche Infanterie in England gelandet ist. Irgendein Abhöroffizier hatte diesen Satz als ›Geheime Kommandosache‹ nach oben gemeldet. Der gesamte Nachrichtendienst der Engländer war eine Woche lang auf Touren gelaufen, um dieser neuen Geheimwaffe der Deutschen auf die Sprünge zu kommen.
»Was beweist«, sagte Werra, »daß die englische Abwehr zwar vieles, aber doch nicht alles weiß …« Der Gedanke erfüllte ihn mit einer gewissen Befriedigung.
In den nächsten zehn Tagen begann er einen exakten Plan für seine Flucht auszuarbeiten. Als er alle Details genau durchdacht hatte, meldete er sich bei Major Fanelsa und bat um die Erlaubnis, dem Ältestenrat seinen Plan vortragen zu dürfen, um die offizielle Erlaubnis zur Flucht zu erhalten.
Es war Abend, als er zum Rapport kam. Zwei Offiziere standen bereits vor des Majors Zimmer Schmiere. Die drei Mitglieder des Ältestenrats waren versammelt.
»Setzen Sie sich, Werra«, sagte Major Fanelsa. »Zunächst möchte ich ihnen mitteilen, daß unserer Ansicht nach im Augenblick kaum eine Chance für eine erfolgreiche Flucht besteht. Ich weiß nicht, was Sie bereits von Kapitänleutnant Lotts verunglücktem Versuch wissen. Dabei waren damals die Bedingungen ungleich günstiger, und Lott hatte seine Flucht bis ins letzte vorbereitet. Seitdem sind die Wachen verdoppelt worden, und alle Sicherheitsmaßnahmen wurden verstärkt. Zum Beispiel werden jetzt die Stacheldrahtsperren nachts angeleuchtet. Es gäbt aber noch andere Gründe, die zur Zeit einen Fluchtversuch als unzweckmäßig erscheinen lassen. Als Kapitänleutnant Lott seinen Versuch unternahm, durften wir mit Recht annehmen, daß sich die britische Bevölkerung einem entflohenen Kriegsgefangenen gegenüber fair verhalten würde.
Seitdem ist aber Großbritannien ziemlich heftig bombardiert worden. So wie die Stimmung jetzt ist, besteht durchaus die Möglichkeit, daß ein wieder eingefangener Kriegsgefangener aus Wut ›auf der Flucht‹ erschossen wird. Mindestens muß er damit rechnen, fürchterlich verprügelt zu werden.
Viele neue Fluchtpläne sind uns bereits vorgelegt worden, aber bisher mußten sie ausnahmslos entweder als undurchführbar abgelehnt oder für bessere Gelegenheiten auf Eis gelegt werden. Sie sind jetzt gerade eine Woche hier, Werra – und Sie wollen behaupten, daß Sie einen brauchbaren Plan für eine Einzelflucht haben!«
Werra grinste; es war sein gewinnendes Lausbubenlächeln. »Darf ich jetzt Herrn Major meinen Plan entwickeln?« fragte er.
»Schießen Sie los.«
»Sie wissen«, begann der Oberleutnant, »daß alle zwei Tage eine Gruppe von 24 Mann zum Spaziergang geführt wird. Je vier Tommies bewachen die Spitze und das Ende der Kolonne, ein berittener Sergeant und ein Offizier sind mit von der Partie. Der Offizier ist ebenfalls zu Fuß. Um 10 Uhr 30 verläßt die Kolonne das Lager, um die Straße entlang zu marschieren. Bekanntlich läuft die Straße
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