Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Einer kam durch

Titel: Einer kam durch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: von Werra Franz
Vom Netzwerk:
gemessenen Bewegungen eines Oberstudienrates und dem korrekten Deutsch eines Rundfunksprechers. Der ganze Mann makellos, farblos, sehr distanziert.
    »Ich kenne Ihren Steckbrief, Herr von Werra«, sagte er zum Schluß einer kleinen Ansprache, die klang, als lese er sie von einem unsichtbaren Entwurf ab. »Gerade Sie haben bereits erfahren, daß es unmöglich ist, aus einem Lager dieses Landes zu entkommen. Flucht ist sinnlos. Sie sind intelligent, wie ich weiß. Sie werden keine Flucht mehr versuchen!«
    Denkste, dachte von Werra. Doch er sagte es nicht. Er verneigte sich und lächelte. Der unerschütterliche Gentleman in Uniform läutete. »Bringen Sie diesen Gefangenen zum Bad und dann zu Major Fanelsa!«
    Werra wußte, daß Fanelsa abkommandiert worden war. Aber warum, zum Teufel, hatte man den unschuldigen Fanelsa in ein Straflager gebracht? Er hatte doch wahrhaftig nichts mit seiner Flucht zu tun gehabt! Was sollte das alles bedeuten?
    Der Sergeant brachte ihn in ein Bad und bedeutete ihm, sich auszuziehen und zu duschen. Inzwischen wurden die Kleider inspiziert. Als er fertig war, gab es die Dauerkost des Gefangenen: Margarinebrot und Kakao. Er machte sich heißhungrig darüber her.
    Jetzt erst wurde er zum deutschen Lagerältesten, Major Fanelsa, geführt. Der Major begrüßte ihn lächelnd. »Mein lieber Werra«, sagte er, »von hier aus ist eine Flucht verdammt schwierig! Außerdem steht der Winter vor der Tür, und die Engländer sind durch die Luftangriffe wild wie die Hornissen. Also keine verrückten Extratouren, verstanden? Haben Sie schon gegessen?«
    »Danke, ja.«
    »Dann zeige ich Ihnen jetzt Ihren Raum!« Er ging durch den dunklen Korridor und blieb vor einer Tür stehen. »Schlafen Sie gut. Und – seien Sie vernünftig!«
    »Jawohl, Herr Major!«
    Werra blickte sich in seinem Zimmer um, nachdem er den Lichtschalter gefunden hatte. Was für ein trauriger Stall, dachte er, was für ein Hundeloch! Kleiner als die Strafzelle in Grizedale. Ein Feldbett, zwei Wolldecken, ein Spind – und an dem Stuhl ist wahrhaftig der halbe Sitz entzwei. Schmutzige Wände, dunkler Fußboden – vermutlich, damit man die Kakerlaken nicht sieht -Fensterscheiben verdreckt, kein Schirm an der Lampe …
    »He!« rief draußen eine wütende Stimme auf englisch. »Licht aus, oder wir schießen!«
    Er fuhr zusammen. Richtig, er hatte vergessen, den Raum zu verdunkeln, in der Ecke neben dem Spind standen die Blenden. Er befestigte sie am Fenster. Draußen tobten die Posten weiter. Auch im Haus wurde es lebendig. Türen knallten, Füße stampften, missmutige Männer brüllten:
    »Was für'n Idiot hat da nicht abgeblendet?« – »Licht aus, Mann, oder sie schießen ins Fenster!« – »Wieder mal so 'n Häschen aus dem Kindergarten!« Undeutliche Gestalten im Halbdunkel des Korridors, Männer, wenig elegant, in langen Wehrmachtsunterhosen, elegantere in Pyjamas, Geruch einer brennenden Zigarette. Werra holte tief Luft. Ihm war plötzlich viel wohler. Das waren doch seine Kameraden; und das war der liebe alte Kommißgeruch: Lederzeug, Brillantine, Schuhkreme und eine Portion Mief. »Hallo, Leute«, rief er, »gebt mal nicht so an!«
    Es wurde still. Dann löste sich eine Stimme aus dem allgemeinen Rhabarber: »Mein Gott, das ist doch Werra!«
    Im nächsten Augenblick war aller Ärger verflogen. Eine Gruppe von Männern drängte sich um den kleinen Jagdflieger, der immer noch auf der Schwelle seines Raumes stand. Hände wurden ihm entgegengestreckt. »Franzi!« – »Alte Nachteule!« – »Mensch, willste hier auch wieder 'ne Fliege machen?« – »Nu laßt mal Papa ran. Ich will auch mal guten Tag sagen!«
    Ein untersetzter, breitschultriger Mann mit hellblondem Haar schob sich durch die anderen. Er pflügte sie beiseite, schüttelte Werras Hand, lachte und sprach mit einem angenehmen Wiener Klang in der Stimme: »Wagner vom 54. J. G. Benvenuto! Seien S' willkommen in diesem Haus der Freude!«
    Werra hatte schon oft von Wagner gehört. Er war mit zweiunddreißig Jahren der älteste Jagdflieger, ein Österreicher, der dem 54. Jagdgeschwader angehörte. Es bildete mit Werras 3. dem 26. und dem 51. Jagdgeschwader die Streitmacht der Jagdflieger am Kanal. Sie alle unterstanden dem ›Jafü‹, dem Jagdführer General von Doering, der etwa 480 Maschinen kommandierte.
    »Kinder, ist das hier ein Puff!« knurrte Werra. »Ein Straflager, nicht wahr? Wieso, seid ihr alle hier Verbrecher?«
    »Kein Straflager!« erwiderte

Weitere Kostenlose Bücher