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Einer kam durch

Titel: Einer kam durch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: von Werra Franz
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Werras Kehle war wie zugeschnürt, als er zum letztenmal durch das säulenumrahmte Tor der Halle schritt. Der Abschied von den alten Kameraden schmerzte. Aber als er dann im Auto saß und Grizedale verschwunden war, vergaß er die Trauer, hob den Kopf und musterte aufmerksam die Landschaft. Er fühlte sich wieder völlig gesund, und was einmal schiefgegangen war, das könnte man sicher noch einmal versuchen …
    ***
    Die Stimmen der Kameraden verklangen, der Wagen rollte durch die herbstliche Moorlandschaft von Lancashire. Werra saß auf einer Pritsche, seine Hand lag neben der des Korporals. Ihre Handgelenke waren durch Schellen verbunden. Keine Chance, von dem Wagen abzusteigen. Es sei denn, er hätte den britischen Unteroffizier auf die Schulter genommen. Doch dazu war er zu klein und der Corporal zu groß.
    »Wohin geht die Reise, Kamerad?« fragte Werra freundlich.
    »Shut up!« sagte der Engländer barsch. »Halt's Maul!«
    Das war nicht eben höflich, aber die Engländer hatten inzwischen eine Stinkwut auf den kleinen Flieger. In den fünf Wochen Grizedale hatte er zehn Tage lang seine Flucht vorbereitet, war sechs Tage lang tatsächlich verschwunden, hatte die restlichen neunzehn Tage im Bunker verbracht. Nicht zu Unrecht stand er im Ruf, ein dangerous character – ein schwieriger Patient – zu sein. Der Corporal hatte Instruktion, kein Wort mit ihm zu wechseln.
    Schließlich hielt der Lastwagen vor der Bahnstation von Windermere. Der Hauptmann und die beiden Männer stiegen aus. Natürlich erregten sie Aufsehen. Nicht umsonst hatte der BBC (der britische Rundfunk) tagelang Werras Beschreibung durch den Äther gejagt und die Bevölkerung bei schweren Strafen gewarnt, dem Flüchtling Hilfe zu leisten. Die Lokalpresse hatte ausführlich über ihn berichtet, selbst die Londoner Blätter hatten Notiz von ihm genommen. Irgend jemand erkannte jetzt den Flieger und sagte es den anderen. Die Eisenbahnpassagiere starrten ihn an. Das war er also, der Ausbrecher vom Dunnerdale Moor, der eine ganze Landschaft in Atem gehalten hatte. –
    »Weitergehen, Leute«, mahnte der Hauptmann und runzelte ärgerlich die Stirn. Ein Bahnbeamter kam und forderte die Passagiere auf, vernünftig zu sein. Sie hörten nicht auf ihn. Die Einwohner von Lancashire wollten den Mann sehen, der den Stacheldraht bezwungen hatte. Sie waren Sportsleute. Der Gefangene sah außerdem gar nicht wie ein Ungeheuer aus. Im Gegenteil, sympathisch, mit einem verschmitzten Jungenlächeln, einem breiten, zuversichtlichen Grinsen.
    »He, Jerry { * } , wirst du es noch mal versuchen?«
    »Klar, Tommies«, erwiderte Werra fröhlich. »Was denkt ihr denn?«
    »Weitergehen, bitte«, wiederholte der Bahnhofsvorsteher lahm. Doch er ging selber nicht weiter, sondern musterte den Gefangenen voller Interesse …
    Endlich kam der Schnellzug; der Corporal beeilte sich, einzusteigen, der Hauptmann folgte. Er zog die Vorhänge an den Fenstern zu, die Vorhänge am Gang. Er sorgte dafür, daß der Gefangene sich auf den mittleren Platz setzte. Und da mußte Werra jetzt sitzen bleiben, Stunden um Stunden. Kaum, daß es ihm einmal erlaubt wurde, mit seinem Kettenhund zur Toilette zu gehen.
    Ich möchte wetten, sie haben den stursten Bock der ganzen Division herausgesucht, dachte er und schloß die Augen. Aber er konnte nicht schlafen. Ruhigsitzen war ihm ein Gräuel, Schweigen eine Qual. Er brauchte Menschen um sich, Kameraden, junge Leute, die etwas unternahmen. Oder ein Mädchen wie Elfi, das ihm zuhörte und mitunter ironisch mit den Augen zwinkerte, wenn seine Pläne gar zu phantastisch klangen. Er war froh, daß sie ihm bei der Gefangennahme das Foto von Elfi zurückgegeben hatten, jetzt versuchte er, sie sich vorzustellen – sehr schlank, sehr schön, dunkelhaarig, mit dem warmen Klang des Südens und der Berge in ihrer dunklen Stimme. Elfi Traut war Österreicherin. Sein Staffelkapitän Balthasar hatte sie eines Tages mitgebracht, als Werra mit einer Wirbelsäulenverletzung im Gipspanzer lag. Das war 1938 gewesen, vor zwei Jahren. Aus dem Freundschaftsbesuch im Krankenhaus war mehr geworden, Liebe, eine Verlobung. »Ich werde hier herauskommen und Elfi heiraten«, sagte er.
    »What?« fragte der Corporal und setzte sich mit einem Ruck auf.
    »Nichts, nichts!«
    Der Zug rollte weiter, in südöstlicher Richtung. Er donnerte über Weichen und Gleise, hielt und fuhr wieder an. Unmöglich, die Namen der Stationen zu verstehen, die von den Beamten in breitem

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