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Einer trage des anderen Schuld

Einer trage des anderen Schuld

Titel: Einer trage des anderen Schuld Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Perry
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möchte. Und dann werden wir alles ins Lot bringen.«
    »Mit einer Entschuldigung!«, beharrte George.
    Wieder schaute Mrs Ballinger von einem zum anderen. Sie blinzelte, und es kostete sie sichtlich Mühe, ruhig zu bleiben. »Danke, Oliver. Aber jetzt ist es wohl das Beste, wenn wir uns alle zurückziehen. Wie geht es eigentlich Margaret?«
    »Sie trägt es so tapfer wie ihr alle«, antwortete Rathbone und hoffte, dass das auch wirklich stimmte. Schon während er geredet hatte, war ihm klar gewesen, dass er mehr versprach, als er sich zutraute halten zu können.
    Am nächsten Morgen wartete Rathbone bereits am Ufer vor der Polizeiwache, als Monk die Stufen vom Anlegesteg der Fähre hinaufstieg. Es war noch nicht ganz acht Uhr. Das frühe Oktoberlicht schimmerte kalt und blass auf dem Wasser und raubte ihm jede Farbe. Der Wind trug mit der steigenden Flut einen Geruch nach Salz heran. Kreischend zogen Möwen ihre Kreise über dem Wasser, und gelegentlich tauchten sie ins Kielwasser eines stromaufwärts ziehenden Schoners. Nach Norden und Süden hin ragten Mastenwälder in Kreuzmustern empor, die sich mit dem unruhigen Wasser bewegten. Lange Ketten von Bargen und Leichterbooten wanden sich zwischen den vor Anker liegenden Schiffen hindurch. Sie brachten allesamt Güter weiter ins Landesinnere oder nach Limehouse, zur Isle of Dogs, nach Greenwich oder zum Themsedelta bis hin zur Küste.
    Monk erreichte die oberste Stufe und verzog die Lippen zu einem knappen Lächeln, als er Rathbone erkannte. Keiner sagte ein Wort. Vielleicht verstanden sie einander auch so. Rathbone konnte Monk am Gesicht und an den Augen ablesen, welche gemischten, komplexen Gefühle ihn bewegten; es waren die gleichen, die er empfand: Verlegenheit, ein Hin- und Hergerissensein zwischen verschiedenartigen Bindungen. Fast im Gleichschritt gingen sie den Kai zur Wache hinüber und weiter ins Gebäude. Monk wünschte den Männern, die offenbar Nachtdienst gehabt hatten, einen guten Morgen. Und nachdem sie ihm Bericht erstattet und versichert hatten, dass nichts Dringendes vorlag, das seine Aufmerksamkeit erforderte, führte er Rathbone in sein Büro und schloss die Tür.
    »Handeln Sie in seinem Namen?«, fragte Monk.
    »Noch nicht, weil ich ihn noch nicht gesprochen habe, aber darauf wird es wohl hinauslaufen.«
    Vor der nächsten Frage zögerte Monk einen Augenblick lang. »Sind Sie sicher, dass das klug ist?«
    »Wenn er mich will, habe ich keine Wahl«, antwortete Rathbone und erschrak mitten im Reden über seinen bitteren Ton. Er fühlte sich gefangen und schämte sich dessen. Wenn er wirklich vorbehaltlos an Ballingers Unschuld glaubte, wenn er ihm so vertraute, wie er sich das wünschte, dann würde er sich doch mit Feuereifer auf seine Verteidigung stürzen.
    Monks Augen wichen seinem Blick aus, und für einen Moment schoss es Rathbone in den Sinn, dass er das nur tat, weil er ihm nicht unter die Nase reiben wollte, wie viel er verstand.
    »Was haben Sie denn?«, fragte Rathbone laut. »Indizien: einen Brief ohne Datumsangaben, der erst noch auf seine Echtheit und Relevanz überprüft werden muss. Was noch? Wir wissen ja schon, dass Ballinger in der Nähe von Chiswick am Fluss war. Das hat er schließlich selbst gesagt. Und Sie haben zugegeben, dass diese Prostituierte Ihnen erst noch verraten muss, wem sie das Halstuch gegeben hat! Folglich können Sie keine Verbindung zu Ballinger herstellen. Ist es da nicht viel vernünftiger anzunehmen, dass sie es jemandem gegeben hat, den sie kannte? Und warum sollte Ballinger ein verkommenes Subjekt wie Parfitt töten? Sie können keine einzige Person vorweisen, die in der Lage ist aufzuzeigen, dass die zwei sich jemals begegnet sind.« Er verstummte abrupt. Jetzt hatte er die ganze Zeit mit Monk gesprochen, als wäre er neu in seinem Beruf und ohne Selbstvertrauen. Dabei wusste er es besser. Ein guter Anwalt vertrat keine Familienangehörigen, denn da sorgten von Anfang an Gefühle für Verwicklungen.
    Nun, Arthur Ballinger war nicht sein Vater. Ganz anders wäre es gewesen, wenn Henry Rathbone verhaftet worden wäre! Bei ihm hätte er die abolute und vorbehaltlose Gewissheit gehabt, dass er unschuldig war.
    Aber das hätte natürlich auch Monk gewusst.
    »Ich unterstelle keine persönliche Feindschaft«, erwiderte Monk in ruhigem, festem Ton. »Ich habe Ballingers Bestätigung, dass er zur fraglichen Zeit in extremer Nähe des Tatorts war, und dazu eine Mitteilung, die nur er geschrieben haben kann.

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